Teil 1: Der Rahmenbau
Teil 2: Das Bike Fitting
Teil 4: Busch & Müller Fahrradlicht
Teil 5: Steuersatz und Nabe von Acros
Teil 6: Beast Components
Vorüberlegungen
Welches Rohr darf’s denn sein?
Obwohl ich kein Experte bin, wird mir relativ schnell klar, dass ich hier mit einer extrem komplexen Materie konfrontiert werde. Was um alles in der Welt ist das nachhaltigste Rahmenmaterial? Vom Gefühl her ist es ganz klar der Stahl, am besten noch in Europa produziert, wie zum Beispiel ein Columbus Rohrsatz. Jedoch, so finde ich schnell heraus, ganz ohne ist die Produktion von Stahl lange nicht. Sie ist energieintensiv und findet längst nicht mehr in Deutschland, sondern zu einem großen Teil unter äußerst bedenklichen Bedingungen in China, Indien oder Russland statt. Doch was sind die Alternativen? Für die Produktion von Aluminium sind Rohstoffe nötig, deren Abbau oft unter katastrophalen Bedingungen stattfinden und der CO2-Ausstoß bei der Produktion ist enorm. Über Carbon wage ich kaum nachzudenken. Aber vielleicht ist der neue Wunderwerkstoff ja gar nicht so böse wie sein Ruf? Immerhin dürften die meisten Carbon Fabriken einigermaßen modern und somit (vermeintlich) sozial und in Sachen Umweltschutz relativ verträglich dastehen und nur, weil etwas unter Einsatz von Kunststoffen produziert wird, muss es ja nicht grundsätzlich schlecht sein, oder? Am Ende meiner Recherche bin ich nicht viel schlauer als zuvor, fest steht nur eines: So wirklich nachhaltig scheint keiner der potenziellen Rahmenwerkstoffe zu sein.
Der Name Columbus ist abgeleitet vom Nachnamen des Firmengründers: 1919 begann Angelo Luigi Colombo mit der Produktion von Stahlrohren. Columbus ist ein lateinisches Wort und bedeutet „Taube“ – daher das Logo.
Anfang Dezember 2019 besuchte Alexander Clauss von Portus Cycles mit seiner Crew persönlich das Columbuswerk in Caleppio di Settala bei Mailand und machte sich einen Eindruck davon, wo viele seiner Rohrsätze, die er verarbeitet, herkommen.
Nachhaltigkeit
Der Rohrsatz und die Nachhaltigkeit
Außerdem ist die reine Produktion das eine. Dazu tauchen aber immer mehr Fragen auf. Wo wird ein Material produziert und welche Transportwege entstehen dadurch? Unter welchen sozialen Bedingungen wird produziert? Wie stabil und langlebig ist am Ende der Rahmen, je nachdem, woraus er gebaut wird? Und was passiert mit dem Material, wenn das Fahrrad einmal ausrangiert werden sollte? Lässt es sich recyclen oder ist es wertloser Müll? Lässt sich der Rahmen selbst reparieren, wenn mal etwas kaputt geht und: wie (und wo) entsteht der Rahmen eigentlich? Die Fragezeichen werden nicht unbedingt weniger, je mehr ich mich in die Materie hineinfuchse. Ich finde so viele Studien und Berechnungen und – je nach Sichtweise – allerlei Vor- und Nachteile der einzelnen Materialien. Ich werde also kaum darum herum kommen, auf meinen gesunden Menschenverstand zu vertrauen und ein bisschen auf mein Bauchgefühl zu setzen.
Das wird er, Martins neuer Columbus Cento Rohrsatz. Die Besonderheiten: Es gibt ihn in drei Größen, das heißt Ober-, Unterrohr sowie die Sitzstreben gibt es in drei verschiedenen Längen mit entsprechendem Butting. Steuerrohr und Tretlagerhülse sind graviert und es gibt ein lasergeschnittenes Verstärkungsrohr für das Sattelrohr, das an der Unterkante die ikonische Taube von Columbus darstellt. Die Tretlagerhülse ist für mehr Steifigkeit in der Mitte kugelförmig.
Die Entscheidung
Et voilà: Der Columbus Cento Rohrsatz
Ich komme letztendlich zu folgendem Ergebnis: Natürlich wird für die Herstellung eines jeden Rahmenmaterials Energie benötigt. Am sinnvollsten wäre diesbezüglich vermutlich Bambusrohr, das jedoch aus funktioneller Sicht für mich nicht infrage kommt. Tatsächlich scheint Stahl am Ende in Bezug auf seine Umweltauswirkungen immer noch das kleinste Übel zu sein, auch, wenn ich ein bisschen erschrocken darüber bin, was für eine Sauerei die Stahlproduktion trotzdem irgendwie ist. Ein paar andere Gesichtspunkte sprechen aber weiterhin für diesen Rahmenwerkstoff: Stahl ist mit Abstand der älteste Metallwerkstoff, der für den Bau von Fahrrädern genutzt wird. Damit einhergehend ist ein riesiger Erfahrungsschatz und eine mehr als hundert Jahre alte Tradition. Stahl fährt sich komfortabel und Stahl lässt sich nicht nur hervorragend reparieren, sondern auch bestens recyclen, wenn es einmal nötig sein sollte. Das vielleicht gewichtigste Argument für mich ist aber am Ende dieses: Es gibt einige traditionsreiche Hersteller von Stahlrohren für den Fahrradbau, die noch in echter Handarbeit und mit wahnsinnig viel Erfahrung und Leidenschaft Rohrsätze herstellen und die es schaffen, mit ihren Produkten deutschen Rahmenbau-Spezialisten wie Alex von Portus Cycles, der meinen Rahmen bauen wird, ein Leuchten in die Augen zu zaubern. Last but not least wohne ich im Ruhrpott, der ja bekanntlich einen intensiven historischen Bezug zur Stahlproduktion hat.
Was ist ein konifiziertes Rohr und wie wird es hergestellt?
Fast jeder Radfahrer, der sich ein bisschen für sein Material interessiert, hat den Begriff schon mal gelesen oder gehört: konifizierte Rohre (oder „butted Tubes“) stehen irgendwie für Qualität. Aber was genau bedeutet das, warum macht man das und vor allem: wie?
Die Frage nach dem Warum ist einfach beantwortet: Man spart Gewicht, ohne Stabilität einzubüßen. Das gelingt, indem man die Wandstärke des Rohres in seinem Verlauf der tatsächlichen Belastung anpasst und es immer nur so dick auslegt, wie es wirklich sein muss. An den Rohrenden ist die Belastung in der Regel am größten, weshalb man hier eine größere Wandstärke von zum Beispiel 0,9 mm wählt. In der Mitte kann man getrost auf 0,6 mm heruntergehen und auf diese Weise einiges an Gewicht sparen. Dieser Wandstärkenwechsel erfolgt nicht sprungartig, sondern in einer Art fließendem Übergang, oder – anders gesagt – konisch. Hiervon kommt der Begriff konifiziertes Rohr, auf Neudeutsch „butted“ und da die meisten Rohre an beiden Enden verstärkt sind, spricht man von double butted tubing.
Und wie wird das gemacht? Das bereits abgelängte, nahtlose Rohr wird auf einen Dorn mit Anschlag gesteckt und durch eine sogenannte Matrize gedrückt (siehe Bild), dabei wird der Stahl auf den Dorn gepresst, der leicht veränderte Dickenbereiche hat. Dadurch erhält das Rohr eine wechselnde Wandstärke von zum Beispiel 0,9 mm/0,6 mm/0,9 mm. Wurde das Rohr komplett durch die Matrize gedrückt, wird es mechanisch festgehalten und der Dorn herausgezogen. Nun hat das Rohr an einer Seite die größere Wandstärke, also 0,9 mm, ist aber noch nach „außen“ gewölbt, also „außen konifiziert“.
Damit das Rohr von außen einen durchgehenden Durchmesser bekommt, folgt noch der dritte Schritt. Dabei wird es nochmals durch die gleiche Matrize gedrückt, aber ohne Dorn. So wird die wechselnde Wandstärke sozusagen nach innen gedrückt, es ist nun innen konifiziert.
Hier wird den Portus Jungs das Prinzip der Columbus Rohrsatz Konifizierung erklärt.
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Wusstest du, dass Columbus auch mal im Möbel Business tätig war?
„Say Yeah!“ – das kann man ruhig mal sagen, wenn man wie Alex von Portus Cycles die Gelegenheit hat, einem DER Stahlrohrsatz-Hersteller einen Besuch abzustatten.
Wo der Columbus Rohrsatz herkommt
Zu Besuch bei Columbus
Erst recht wächst die Begeisterung für Stahl, wenn wir über Columbus reden. Columbus Tubi ist einer der ältesten Stahlrohrproduzenten überhaupt. Die Firma produziert mit wenigen Mitarbeitern in der Nähe von Mailand ihre Rohrsätze, die in der Vergangenheit zahlreichen Rennradprofis zu Weltruhm verholfen haben. Hersteller wie Bianchi und Fahrer wie Eddie Merckx – um nur zwei Namen zu nennen – lassen jeden Rennradfan aufhorchen. Columbus wurde bereits 1919 von Angelo Luigi Colombo gegründet und feierte folgerichtig im Jahr 2019 sein hundertjähriges Jubiläum. Zu eben diesem brachten die Italiener ihren Geburtstags Rohrsatz Namens „Cento“ (= hundert) heraus. In diesem Rohrsatz steckt laut Columbus die ganze Seele, die ganze Leidenschaft und Erfahrung der Firma. Er verkörpert die Evolution vom Columbus Rohrsatz an sich und vereint Tradition und neueste Technik. Und: Er wird in Italien produziert, sodass sich Rahmenbauer Alex nicht zweimal bitten lässt und ihn persönlich im Werk bei Mailand abholt (wobei auch viele Fotos dieser Geschichte entstanden sind). Es ist wohl klar, mit welch leuchtenden Augen Alex während der Firmenbesichtigung durch die heiligen Hallen pilgert. Vor allem der Prozess der Konifizierung vom Columbus Rohrsatz hat es ihm angetan: Dabei werden Rohre mit unterschiedlichen Wandstärken gefertigt, sodass man ein leichtes und dennoch sehr stabiles Rohr erhält. In der Info-Box unten erklären wir diesen Vorgang nochmal detailliert.
Der Columbus Cento Rohrsatz ist irgendwie schon ein Schmucksctück, bevor es rüberhaupt zu einem Rahmen verbaut wurde, oder nicht?
Für mich ist dieser Columbus Cento Rohrsatz ohne jede Frage der „nachhaltigste“, den ich mir vorstellen kann. Die Herstellung selbst würde ich dabei als das kleinste Übel aller Optionen bezeichnen. Viel wichtiger ist aber der emotionale Wert, der durch meine Wahl entsteht. Für mich ist dieser Rohrsatz ein Stück echte Handwerkskunst. Er vereint Tradition, Erfahrung und Hightech und durch seine limitierte Auflage wird er gar zum Sammlerobjekt. Selbst, wenn ich eines Tages feststellen sollte, dass ich mit diesem Fahrrad nicht mehr fahren möchte: Es wäre mir viel zu wertvoll, um es achtlos wegzuschmeißen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass mich dieses – „mein“ – Fahrrad mein Leben lang begleiten wird. Und das ist doch am Ende die schönste Form von Nachhaltigkeit, oder nicht?
“Bianchi” . Das “h” ist wichtig, sonst sprichst du’s falsch aus. Wie bei “Lamborghini”, der wird ohne “h” zum Lambordschini.
Kennst du auch die Rohre von Dedacciaio?
Es gibt in Italien noch ein paar Rahmenbauer aus der Zeit vor Carbon und Taiwan. Die sind exzellent und wesentlich günstiger als die In Deutschland. Zum Beispiel Vetta in Padova bei Venedig. Alles Handwerk, nur lokales Material…
Ups, da hast du natürlich recht. Danke für den Hinweis und die weiteren Anregungen. Mittlerweile ist der Columbus Rahmen fast fertig.
Mir stellt sich die Frage ob 2kg Rahmenmaterial bei einem Fahrrad so viel zur “Nachhaltigkeit” beitragen kann wenn man bedenkt dass so viel Unmengen an Schrott (Metalle, Kunststoffe …) produziert und weggeworfen wird.
Natürlich sind zwei Kilo Stahl nicht das Problem dieser Welt. Hier ging es aber ja mal darum, exemplarisch zu schauen, wie das Thema Nachhaltigkeit bei Fahrrädern zum Tragen kommt. Und da fiel die Entscheidung eben auf einen italienischen Traditionshersteller und nicht auf einen No-Name-Massenproduzenten aus China oder sonstwo. Und trotzdem zeigt dieses Beispiel auch: Es sind nur 2kg Stahl. Aber: In Deutschland wurden 2022 rund 4,7 Millionen Fahrräder und E-Bikes verkauft. Dann reden wir auf einmal über fast 10.000 Tonnen Stahl. Und ganz kurz gegoogelt: Die Produktion einer Tonne Stahl emittiert mind. 500 kg CO2. Bei Alu ist es schon um ein vielfaches mehr (13,5 Tonnen pro Tonne Rohalu, wenn ich richtig gegoogelt habe). Was ich damit sagen will: Was jeder einzelne von uns tut ist einzeln betrachtet völlig unbedeutend. Aber in der Masse betrachtet machen selbst solche Kleinigkeiten einen riesen Unterschied.
Den Vorteil von Stahl sehe ich in der Langlebigkeit. Selbst wenn man ein Rad nicht lebenslang an sich binden möchte – verkaufe ein Rad mit Stahlrahmen nach 10 Jahren oder versuche ein Carbonrad nach 10 Jahren als “unfallfrei” zu verkaufen… was ziemlich unglaubwürdig scheint … nie würde ich in so einer Situation ein Carbonrad nehmen! Das ist damit Schrott oder gibt es schon Technologien zur Wiederverwertung von Carbonteilen?