Bergamont E-Cargoville LJ70 Test: Inhalt
„Wir sind Teil des mobilen Wandels und gestalten ihn mit.“ – Das stellt der Hamburger Radhersteller Bergamont als sein Leitmotiv dar. Und so ist es eigentlich nur eine logische Konsequenz, dass die Company vom Kiez ihr eigenes Lastenrad herausbringt. Et voilà: Im letzten Jahr stellte man das „E-Cargoville LJ70“ vor, das in diesem Frühjahr endlich in die Läden kam. Grund genug, das neue Arbeitstier aus Hamburg einmal zu testen, oder nicht? Tatsächlich steckte aber viel mehr hinter diesem Test, als die pure Neugierde. Denn Bergamont und Lifecycle führte eine Idee zusammen, die ich „Das Lastenrad Experiment für Wetter“ genannt hatte.
Wetter ist die Stadt, in der ich wohne. Und das ist eine Stadt, die so gar nicht dem „typischen“ Terrain eines Lastenrads entspricht: Es ist ein bisschen „ländlich“, die Mentalität ist eher „ohne Auto geht es doch hier gar nicht“ und zu allem Überfluss ist es auch noch richtig hügelig. Ich wollte trotzdem wissen, ob man den Menschen hier das Prinzip Lastenrad nicht schmackhaft machen könnte und wollte ihnen liebend gerne für einen gewissen Zeitraum ein Cargobike zum kostenlosen Testen zur Verfügung stellen – allein, es fehlte das passende Rad, denn mein unmotorisiertes Exemplar hätte wohl eher abschreckende Wirkung gehabt.
Zum Glück fand der Hersteller aus Hamburg diese Idee prima und stellte und dieses Bike zur Verfügung. Dieses Projekt kam total gut an, womit ich ehrlich gesagt gar nicht unbedingt gerechnet hatte. Das Rad war mehr als zwei Monate lang fast täglich unterwegs, mit unterschiedlichen Faher:innen und zu allen möglichen Zwecken. Nach dieser Zeit stand fest: Intensiver kann man ein Bike kaum testen. Und hier ist das Ergebnis. Die ganze Geschichte zum Experiment findest du übrigens in unserer Ausgabe #11.
Der E-Cargoville Test als Cargobike-Experiment für die Stadt Wetter
Die Idee zum „Lastenrad Experiment für Wetter“ ist eigentlich ganz einfach: Die Bewohner von Wetter an der Ruhr sollten einfach, unbürokratisch und kostenlos ein Bergamont Cargobike testen können. Im Gegenzug wollte ich wissen, wie sie es finden und ob sie sich vorstellen könnten so ein Bike, aber auch so ein Verleihsystem regelmäßig zu nutzen. Dabei wollte ich alles möglichst genau so aufziehen, wie es mit vielen existierenden Lastenradprojekten in Städten wie Essen, Münster oder Berlin bereits funktioniert – nur ohne vorab einen Verein zu gründen oder sich möglicherweise umsonst in Unkosten zu stürzen für etwas, das am Ende vielleicht gar keiner nutzen will. Die Menschen sollten das Rad online buchen und dann in aller Ruhe testen können.
Als kleine Gegenleistung sollten sie nur im Anschluss einen Fragebogen ausfüllen, in dem ich genau abfragte, wie es ihnen gefallen hat. Natürlich war gar nicht klar, ob dieses Angebot überhaupt genutzt werden würde. Doch diese Sorge war unbegründet: Das Rad war fast täglich unterwegs und sowohl ich als auch Bergamont bekamen vor allem eines: jede Menge spannende Informationen.
Bergamont Cargobike Test: Das E-Cargoville LJ70
Der Name vom Bergamont Lastenesel verrät bereits die wichtigsten Fakten: Dieses Rad ist mit einem E-Motor ausgestattet, es kommt in „Long-John“-Bauweise und seine Ladefläche ist 70 Zentimeter lang. Das klingt doch schonmal gut, aber natürlich lohnt es sich, etwas genauer hinzusehen.
Ich fange mal mit dem Rahmen an. Der ist nämlich wirklich robust ausgefallen, quasi für die Ewigkeit gebaut und man merkt, dass dieses Rad von Grund auf neu konstruiert wurde – und zwar für den Einsatz mit E-Motor. Das Gewicht spielt demzufolge eine eher untergeordnete Rolle. Ich bin mir aber dafür ziemlich sicher: Wenn es etwas gibt, was am Bergamont Lastenrad unkaputtbar ist, dann sein Grundgerüst, der Rahmen.
Die Ladefläche ist mit schickem Holz ausgekleidet und darf mit 90 Kilogramm beladen werden. Damit du trotzdem flott vorankommst, hilft ein Bosch Cargo Line Motor mit 625 Wh PowerTube Akku, der unauffällig in die „Lenksäule“ integriert wurde. Apropos integriert: Das Rad ist mit allem ausgestattet, was man so braucht, vom Schutzblech bis zum Licht und wirkt trotzdem total clean. Hier muss nichts gebastelt werden – alles ist für den sofortigen Einsatz bereit.
Zum Thema Sicherheit will ich noch die helle Busch und Müller IQ-XS Frontleuchte und die bissigen Magura CMe5 Cargo Scheibenbremsen erwähnen. Mit Schwalbes „Super Moto-X“ Bereifung ist man ebenfalls auf der sicheren Seite. Geschaltet wird stufenlos mittels Enviolo-Nabenschaltung. Alles in allem bringt das E-Cargoville in der Basisaustattung rund 44,5 Kilo auf die Waage und kostet 5.399 Euro. Als Zubehör sind ein zweiter, externer Akku, eine schicke Bambusbox, ein Kindersitz sowie ein Regenschutzdach erhältlich.
E-Cargoville LJ 70 Test: Die Facts
Bergamont E Cargoville LJ70 | |
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Preis | 5.399 Euro |
Größen | one size fits all |
Rahmen | 20/26″, lite AL-6061 Rohrsatz, 70×45 cm Ladefläche, PowerTube Akku |
Gabel | BGM Cargo, Starrgabel, verstärkt |
Steuersatz | FSA NO.57, A-Headset, semi-integriert, Tapered (Gabel) / FSA IS-3E, A-Headset, 1-1/8″ (Kopfrohr) |
Vorbau | BGM Cargo, einstellbar, mit Kiox-Integration |
Lenker | BGM Pro, Riser Lenker, Höhe: 5 mm |
Schaltung | Enviolo Controller, stufenlos |
Schaltgriff | Enviolo Controller, stufenlos |
Bremsgriffe | Magura CMe5, hydraulische Scheibenbremse |
Bremsen | Magura CMe5, hydraulische Scheibenbremse, Storm Rotor: 180/180 mm |
Sattel | Ergon ST10 |
Sattelstütze | BGM Pro |
Laufräder | Felgen: Mach 1 Kargo, Disc, geöst; Speichen: Sapim Leader |
Kurbeln | FSA CK-320, 38t |
Ritzel | Enviolo, 20t |
Kette | KMC Z1eHX Wide EPT |
Reifen | Vorne: Schwalbe Super Moto-X, Greenguard, 61-406 Hinten: Schwalbe Super Moto-X, Greenguard, 61-559 Schläuche: Impac AV20 / Impac AV26 |
Beleuchtung | Vorne: B&M IQ-XS, 70 Lux, LED, E-Bike Version Hinten: B&M Bergamont Special LED, im Schutzblech integriert |
E-Antrieb | Motor: Bosch Drive Unit Cargo Line, Gen. 4, 250 W, 36 V, max. 25 km/h Display: Bosch Kiox Akku: Bosch 36 V Li Ion, 625 Wh, PowerTube Fahrstufen: Eco (+60%), Tour (+140%), Sport(+240%), Turbo (+400%), Schiebehilfe (-5 km/h) |
Gewicht | 44 kg; Zulässiges Gesamtgweicht: 220 kg. Das zulässige Gesamtgewicht umfasst das Fahrrad inkl. Fahrer/in, Bekleidung und Gepäck. |
Der Test: Bergamont E Cargoville LJ70
Wie schon erwähnt: In unserem Bergamont Lastenrad Test wurde unser Long John aus dem hohen Norden richtig hart getestet. Und zwar nicht nur von mir, sondern von all den Wetteranern, die es sich während unseres Experiments ausgeliehen haben. Etwas vom Feedback, das ich bekommen habe, will ich hier weitergeben, sowie meine eigenen Eindrücke schildern.
Ich beginne mit den Fahreigenschaften. Im Gegensatz zu meinem leichten Bullitt ohne E-Motor fährt sich das Bergamont Lastenrad deutlich „gutmütiger“. Es liegt satter auf der Straße und ist nicht so „kippelig“. Perfekt für „Otto-Normal-Radler:in“, der/die wenig Wert auf sportliche Fahreigenschaften legt, sondern einfach ein sicheres Alltagsgefährt haben möchte. So kam es auch, dass alle Testfahrer:innen sich binnen kürzester Zeit sicher auf dem Bergamont fühlten.
Einzig der etwas größere Wendekreis ist natürlich gewöhnungsbedürftig. Außerdem merkt man das relativ hohe Gewicht in allen Situationen, in denen der „Schwung“ fehlt. So war es mir zum Beispiel nur mit großer Anstrengung möglich, das Rad in den Keller zu bekommen, was mit meinem Bullitt überhaupt kein Problem ist. Erstaunlich leichtgängig rollt das Bergamont E-Cargoville hingegen, auch wenn der Motor aus ist – solange die Strecke flach verläuft.
Die robuste Bauweise und das hohe Gewicht sorgen jedenfalls dafür, dass man sich wirklich sicher auf diesem Bike fühlt. Und das selbst bei voller Beladung. Ob mehrere volle Getränkekisten, Blumenerde, Papiermüll und natürlich Kids und selbst Hunde wurden mit dem E-Cargoville transportiert. Niemand hat sich beklagt, dass sich das Rad beladen unsicher anfühlt. Im Gegenteil: Gerade mit Last macht es total viel Spaß, das Bergamont Lastenrad zu fahren – vielleicht auch, weil man damit ein echter Hingucker ist und sehr oft angesprochen wird.
Ebenso hat sich niemand über mangelnde Motorleistung beschwert. Und das will was heißen, denn wie eingangs erwähnt, ist es hier in Wetter mitunter ganz schön steil. Dem Bosch-Motor macht das nichts aus, er schiebt das Bergamont kraftvoll auch die steilen Straßen rauf, nicht ohne dabei dieses typische Surren von sich zu geben.
Bergab hingegen hält sich der Motor fein heraus. Stattdessen müssen sich die Bremsen beweisen, was sie nach anfänglichen Startschwierigkeiten (einmal musste ich die hintere Bremse entlüften) mit Bravour gemeistert haben. Bei täglicher Benutzung merkt man, was sie leisten: Die Bremsbeläge müssen dann doch regelmäßig ausgetauscht werden.
Und wie lange hält der Akku an diesem E-Lastenrad? Das ist eine wirklich gute Frage, die ich bis zuletzt nicht zuverlässig beantworten kann. Es hängt einfach von zu vielen Faktoren ab: Wie schwer ist der Fahrer oder die Fahrerin? Was wird geladen? Wie schnell wird gefahren und wie sieht das Streckenprofil aus?
Fakt ist: Je mehr Ladung transportiert wird und je steiler die Straße ist, desto mehr saugt der Motor am Akku. Fakt ist aber auch: Für so ziemlich jede Alltagsfahrt ist die Reichweite absolut ausreichend. Allenfalls ausdauernde Familienausflüge am Wochenende erfordern ein wenig Planung. Im Zweifelsfall sollte man dann doch lieber das Ladegerät mitnehmen und eine kleine Pause einplanen. Hier reden wir aber von Distanzen jenseits der 75 Kilometer.
Ich hätte nicht gedacht, dass auch sportliche Fahrer mit dem Lastenbike auf ihre Kosten kommen. Das Beste dabei ist, dass ich auch bei meinen Erledigungen voll in die Pedale treten kann und somit der Sport direkt integriert ist.
Dirk Gellert
Bergamont E Cargoville LJ 70 – Was war gut, was war schlecht?
Im Folgenden fasse ich meine Eindrücke und das wichtigste „User-Feedback“ zum Bergamont Lastenrad zusammen.
Das war gut…
- Angenehme Fahreigenschaften und gute Anpassungsmöglichkeiten (Lenkerverstellung), super für Alltagsradler.
- Kräftiger Motor
- Super stabiler Rahmen
- Option, einen zweiten Akku nachzurüsten
- Option, eine Kettenschaltung zu montieren
- Rahmen ließe sich bei Bedarf relativ einfach zweiteilen (ein User fand das gut, um das Bike zum Transport im Kombi zerlegen zu können, um es zum Beispiel mit in den Urlaub nehmen zu können).
- Bremsen sind super kräftig
- Stufenlose Schaltung ist im Prinzip eine angenehme Sache
- Mit dem Rad lassen sich selbst größere Besorgungen problemlos erledigen, es ersetzt in ganz vielen Fällen locker ein Auto
- Die Kids fanden es alle mega! Der Dreipunkt-Gurt macht einen sicheren Eindruck. Zwei kleine Kinder haben Platz auf der Ladefläche. Wenn die Kids zu groß sind, kommen sich allerdings Kopf/Helm und Lenker ins Gehege.
- Die Dogs waren meistens auch begeistert.
- Viele User wurden interessiert angesprochen, mit dem Rad fällt man positiv auf.
Das war nicht so gut…
- Während des Tests gab die Nabenschaltung einmal ihren Geist auf und musste ersetzt werden. Generell macht die Enviolo Schaltung einen etwas anfälligen Eindruck. Zum Beispiel hatte der Schaltgriff gegen Ende des Tests ganz schön viel Spiel. Schalten unter größerer Last ist nicht wirklich möglich.
- Insbesondere die hinteren Schutzblechschrauben lösten sich häufig. Das ist relativ ärgerlich, weil man sie nicht festziehen kann, ohne das Hinterrad auszubauen. Hier wäre werksseitig eine gute Schraubensicherung wünschenswert und am besten eine gut zugängliche Verschraubung.
- Der Ständer ist zwar total robust und das Rad steht optimal darauf, allerdings macht er einen ziemlichen Lärm beim Hochklappen. Hier wären dickere Gummipuffer wünschenswert.
- Der Endanschlag des Lenkgestänges löste sich. Auch hier wäre eine gute Schraubensicherung die Lösung des Problems.
- Die Schiebehilfe könnte etwas kräftiger „mithelfen“.
- Der Lack ist relativ empfindlich gegen „Abplatzer“
Update Februar 2023
Mittlerweile haben wir ein neues, permanenten freies Lastenrad Projekt etabliert, in dem wieder ein Bergamont E Lastenrad in der Konfiguration Elite zum Einsatz kommt. Zwei Erkenntnisse aus dessen Einsatz möchten wir hier gern schonmal ergänzen:
- Es gibt einen neuen Ständer! Das ist eine spannende News, denn der alte hat schon ganz schön genervt. Der neue hat eine verbesserte Geometrie. Das Rad lässt sich viel einfacher auf-/abbocken und vor allem ist der neue Ständer, dank am Rahmen befestigter Gummipuffer und einer stärkeren Feder, nahezu lautlos. Die Umrüstung war gar kein Problem.
- Die Enviolo am freien Lastenrad BALU funktioniert bislang ohne Fehl und Tadel. Das lässt vermuten, dass Enviolo die technischen Probleme in den Griff bekommen hat, beziehungsweise dass wir damals einfach eine „Montagsnabe“ erwischt hatten …
Bergamont E-Cargoville LJ 70: Das Fazit
Das Lastenrad Bergamont E-Cargoville ist auf Anhieb ein ziemlich durchdachtes Produkt. Die meisten Probleme, die ich beziehungsweise die Tester:innen aus Wetter hatten, sind als „Kinderkrankheiten“ zu verbuchen und können sehr einfach, zum Beispiel mithilfe von Schraubensicherung, gelöst werden. Einzig die Enviolo Nabenschaltung konnte unterm Strich nicht wirklich überzeugen.
Darüber hinaus ist das Bergamont Lastenrad E-Cargoville LJ70 ein sehr gelungenes Cargobike, das im Alltag einen hervorragenden Job erledigt. Es überzeugt mit sicheren, gutmütigen Fahreigenschaften, sodass sich auch wenig routinierte FahrerInnen schnell darauf wohlfühlen. Zwar ist das Komplettpaket kein Leichtgewicht, dafür bekommt man aber ein richtig stabiles Bike, dessen Rahmen wie für die Ewigkeit gebaut scheint. Auf dem Weg zum mobilen Wandel hat Bergamont mit seinem Lastenrad jetzt ein wertvolles Tool im Programm!