Über Pirelli
Der italienische Reifenhersteller hat seinen Sitz in Mailand und das schon seit knapp 150 Jahren. Bereits 1872 wurde das Unternehmen gegründet, es ist damit so lange im Gummi-Markt tätig wie kaum ein anderer Hersteller. Nach der Gründung wurden mit wenig Personal Seekabel, Leitungen für Telegrafen und Fahrradreifen hergestellt. Denn obwohl Pirelli heute kaum noch mit nicht motorisierten Zweirädern in Verbindung gebracht wird, hat es seine Wurzeln eben genau da. Allerdings verlagerte Pirelli sein Hauptaugenmerk sukzessiv auf die Herstellung von Auto- und später Motorradreifen. Irgendwann wurden Fahrradreifen dann komplett aus dem Programm genommen, bis sich das Unternehmen entschied, wieder im Fahrradmarkt mitzumischen.
Im Jahr 2017 stellten die Italiener dann mit viel Furore und Tamm-Tamm ihre neuen Rennradreifen vor. Besonders interessant, es gab zwei verschiedene Modelle: Den für den Renneinsatz konstruierten „P ZERO“ und den robusten „Cinturato Velo“. 2019 wurde dann, dem aktuellen Gravel-Bike-Trend folgend ein weiterer Reifen vorgsetellt, welcher auf Schotter und in rauem Gelände genutzt werden kann. Er trägt den Namen Cinturato Gravel und es gibt ihn in zwei Versionen. Auch vier verschiedene MTB-Reifen hat Pirelli neu entwickelt. Als vierte Sparte soll nun bald noch ein City-Reifen vorgestellt werden.
Die neuen Modelle
Der Gravelmarkt boomt und das nicht ohne Grund. Viele Reifenhersteller hauen deswegen mit dem Wort Gravel um sich, als wäre es ein Rodeoseil. Pirelli hat sich im Vergleich zu anderen Herstellern etwas mehr Zeit gelassen und erst im Jahr 2019 ihre Gravel Reifen Cinturato „Mixed-Terrain“ und „Hard-Terrain“ vorgestellt. Im Prinzip lassen sich die beiden Reifen einfach hinsichtlich des Profils unterscheiden. Die beiden Bezeichnungen für den Gravel Reifen lassen keine eindeutige Interpretation zu, das Profil aber schon. Pirelli kürzt aber noch dazu die Reifen gern mit M und H ab, was außerdem nicht unbedingt zu einer einfachen Zuordnung verhilft. Wichtig ist noch zu erwähnen, dass beide Reifen sowohl Tubeless, als auch mit Schlauch funktionieren sollen.
Pirelli Cinturato Gravel Mixed Terrain
Mixed Terrain steht bei Pirellis Gravel Reifen für richtig viel Profil, was vielleicht ein wenig verwirrend ist. Wir dachten bei Mixed Terrain nämlich, dass es der ideale Reifen für alle möglichen Wege ist, von der glatten Asphaltpiste über gediegene Waldwege bis eben zu moderaten Trails. Genau das Gegenteil ist aber der Fall: Mixed Terrain steht bei Pirelli für grobstollige Gravel Reifen, die sich, dem Profil nach zu urteilen, vor allem auf richtig unwegsamen Gelände wohlfühlen. Pirelli meint offensichtlich mit „Terrain“ Gelände im Sinne von Offroad und so wurde der Reifen eben für alle Wegbeschaffenheiten entwickelt, welche sich jenseits vom Asphalt wiederfinden.
Pirelli Cinturato Gravel Hard Terrain
Demgegenüber steht Hard Terrain nicht für schwieriges Terrain (so unsere Interpretation des Namens) sondern eben harte Untergründe. Diese benötigen natürlich weniger grobe Stollen sondern eine relativ glatte Lauffläche, mit flachen Profilblöcken, die an der Seite dann doch etwas grober werden.
Größen und Dimensionen
Bei Gravel Reifen spielen gleich zwei Faktoren im Kontext der Ausmaße eine entscheidende Rolle. Neben der Reifenbreite, die ja immer eine Diskussion Wert ist, kommt bei einigen Gravel Bikes noch die Möglichkeit hinzu 650b (27,5 Zoll) Reifen zu fahren. Insofern bieten viele Reifenhersteller bei Gravel Reifen neben den 28 Zoll Reifen auch 27,5 Zoll an. Bei den Pirelli Gravel Reifen ist das genau so. Insgesamt stehen sowohl beim Cinturato Gravel Hard Terrain als auch beim Cinturato Gravel Mixed Terrain fünf Varianten zur Auswahl:
Reifendimension Cinturato Gravel H & M | Reifenbreiten in mm |
700c/28 Zoll | 35; 40; 45 |
650b/27,5 Zoll | 45; 50 |
Das Gewicht
Beim Gewicht hingegen unterscheiden sich die beiden Varianten Cinturato „Gravel Hard Terrain“ und Cinturato „Gravel Mixed Terrain“. Die grobstollige Variante (Mixed Terrain) ist bei den drei 700c Varianten immer 20 Gramm schwerer und bei den beiden 650b Optionen jeweils 10 Gramm.
Größe | Gewicht Cinturato Gravel H | Gewicht Cinturato Gravel M |
700 x 35mm | 410g | 430 |
700 x 40mm | 480g | 500 |
700 x 45mm | 550 | 570 |
650 x 45mm | 510 | 520 |
650 x 50mm | 540 | 550 |
Gummimischung, Farben & Preis
Als Gummimischung verwendet Pirelli bei beiden Gravel Reifen seine „Speed GRIP Compound“, welche vermutlich eine Ähnliche wie bei den hauseigenen Mountainbike-Reifen Scorpion mit „SMARTGRIP“ ist. Es werden zwei verschiedene Farben angeboten: klassisch schwarz (black) und mit brauner Tanwall (black/para).
Die Pirelli Gravel Reifen lassen sich eher in die Kategorie mittlere Oberklasse einordnen. Der UVP liegt bei allen Modellen kurz unter der 60 Euro Marke.
Unsere Gravel Test Reifen von Pirelli
Zum Testen haben wir uns gleich alle beide Varianten vorgeknöpft. Den grobstolligen Mixed Terrain Reifen haben wir in der schlanksten Variante mit 35mm auf unsere 28 Zoll Cross Country Felgen von Stans No Tubes gezogen. Die Pirelli Gravel Hard Terrain als 650b Variante mit 45mm Breite haben wir genau auf die gleiche Felge (nur eben in 27,5 Zoll) gestülpt. Gravel ergibt für uns Tubeless am meisten Sinn, daher haben wir keinen Schlauch bei der Montage verwendet. Der erste Eindruck der Reifen ist wirklich gut: saubere Verarbeitung kombiniert mit einer schönen Optik.
Aufziehen der Pirelli Gravel Reifen
Tubeless hat den Ruf genau zwei große Schwächen zu haben. Tubeless-Reifen sollen sich laut verschiedenen Kritikern sehr, um nicht zu sagen gar nicht, auf die Felge bringen. Und tatsächlich haben wir im Laufe der Zeit schon mit einigen Tubeless-Reifen gerungen. Wir konnten den Kampf allerdings immer für uns gewinnen. Das es nun wirklich bei Clincher-Reifen immer besser ist, können wir generell nicht bestätigen. Zurück zum Pirelli Gravel Reifen. Sowohl der Pirelli Gravel Hard Terrain, als auch der Pirelli Gravel Mixed Terrain ließen sich stramm aufziehen. Stramm bedeutet, wir mussten uns weder mehrere Stunden an den Reifen abarbeiten, noch sprangen sie von allein auf die Felge. Ein wenig Arbeit war nötig, aber nicht mehr als wir es gewohnt sind.
Der zweite wichtige Punkt bei der Tubeless-Montage ist das Springen der Seitenwände ins Felgenhorn. Es gibt die vier Szenarien 1.) Luftpumpe genügt, 2.) die Ventile müssen rausgedreht werden (damit schneller mehr Luft einströmen kann) 3.) ein Kompressor oder „Booster“ ist notwendig, oder 4.) die wildesten Hilfsmittel, wie Seifenwasser, müssen eingesetzt werden. Bei allen vier Reifen hat eine übliche Standluftpumpe genügt, um die Reifen einrasten zu lassen. Die Montage hat insgesamt (inklusive Demontage der alten Reifen) grob 40 Minuten gedauert. Es gab Null-Komma-Null Probleme beim Aufziehen.
Test: Auf der Straße
Pirelli Gravel Mixed Terrain
Den grobstolligen Pirelli Gravel Mixed Terrain lassen wir zuerst über den Asphalt laufen. Wir haben 3,5 Bar im Reifen (bei einem Systemgewicht von 83 kg) und nun ja, man merkt, dass dieser Untergrund nicht sein Lieblingsterrain ist. Das Rollverhalten ist nicht das Beste, aber es ist auch nicht unbequem mit ihm auf der Straße. Das Profil verhält sich auf blankem Asphalt ziemlich genau so, wie wir es erwartet hatten. Wir kommen voran, aber es ruckelt halt ein wenig. Der Blick auf die nackten Zahlen lässt uns überrascht feststellen, dass der Speed nicht auf der Strecke bleibt. Geschwindigkeiten von 30 Km/h und mehr auf der Geraden sind kein Problem.
Pirelli Gravel Hard Terrain
Komischerweise gilt das Gleiche ziemlich genau für den weniger profilierten Pirelli Gravel Hard Terrain in 650b. Auch hier fühlte sich der Reifen auf Asphalt nicht wie in seinem Element an. Dennoch ging es immer flott voran. Im direkten Vergleich war es weniger Geruckel und ein gleichmäßigeres Abrollverhalten als beim Mixed Terrain. Aber kein Vergleich zu einem Slick.
Test: Im Wald
Pirelli Gravel Mixed Terrain
Hier fühlt sich der Pirelli Gravel Mixed Terrain Reifen schon deutlich wohler. Der weiche Waldboden verschafft einem augenblicklich ein smootheres Fahrgefühl. Der weiche Waldboden ist ein guter Partner für den Mixed Terrain, besonders auch bei feuchten Bedingungen. Das Profil gräbt sich teilweise sogar in den Waldboden ein, er krallt sich regelrecht in den Untergrund. Bei harten Anstiegen ist das absolut von Vorteil, da man aus dem Sattel gehen kann und trotzdem nicht ins Leere tritt. Auch in schnellen Kurven geben die Gummi-Spikes viel Grip und ein sicheres Gefühl. Nur der Komfort kommt zu kurz, bei 35 mm Breite ist das aber wenig überraschend.
Pirelli Gravel Hard Terrain
Da hat der Pirelli Gravel Hard Terrain schon deutlich mehr zu bieten. Auch richtig unwegsamen Waldboden schluckt der 45 mm breite Reifen einfach weg. Mit gerade mal zwei Bar haben wir auch relativ wenig Druck getankt, das trägt aber eindeutig zum Komfort bei. Ansonsten merken wir vom kurzen Profil nicht so viel. Traktion ist zwar immer da, schnelle Kurven sind aber nicht unbedingt das Ding des Hard Terrain, vor allem wenn der Boden etwas lockerer ist. Davon abgesehen cruist es sich hervorragend durch die Tiefen jedes Waldes.
Test: Auf Schotter
Pirelli Gravel Mixed Terrain
Schotter scheint für den Pirelli Gravel Mixed Terrain ein guter Partner zu sein, vor allem wenn es sich um losen Kies und Geröll handelt. Auch hier schaufelt sich der Reifen in den Boden, gibt Traktion und Sicherheit. Es hat uns viel Spaß gemacht, den Reifen auf bestem Gravel an seine Grenzen zu bringen. Auch, wenn das nicht leicht war. Ebenfalls wohlwollend zu bemerken: keinerlei Pannen, oder Durchstiche, auch bei schärfstem Geröll.
Pirelli Gravel Hard Terrain
Loser Schotter ist für den Pirelli Gravel Hard Terrain im Gegensatz dazu nicht der liebste Untergrund. Je tiefer der Gravel wird, umso unwohler fühlt sich der Reifen, besonders in Kurven. Dafür brilliert er auf festeren Schotterpisten mit Laufruhe und Komfort. Auch hier gab es keinerlei Pannen.
Test: Auf dem Trail
Pirelli Gravel Mixed Terrain
Aha! Hier gehört der Pirelli Gravel Mixed Terrain definitiv hin! Was zu vermuten war, hat sich bestätigt. Jedenfalls, wenn es sich um einfache Trails ohne viele Wurzeln handelt. Ansonsten wird es doch ganz schön ruppig. Diesmal aber nicht wegen des grobstolligen Profils, sondern weil die Dämpfungseigenschaften des 35 mm breiten Reifens relativ schnell an ihr Ende geraten. In unserer Region sind die Trails allerdings sehr moderat, ohne sehr grobe Stolperstellen. Daher war der Pirelli Gravel Mixed Terrain in den meisten Situationen optimal auf den schnellen Trails.
Pirelli Gravel Hard Terrain
Kaum zu glauben, aber hier kann der Pirelli Gravel Hard Terrain ebenfalls punkten. Trotz der über 500 Gramm Gewicht läuft er leichtfüßig über die Trails. Grip lässt er auch kaum vermissen. Kleine Sprünge gehen ebenfalls richtig gut. Im Antritt ist er nicht ganz so direkt wie sein Bruder mit den groben Stollen, aber dafür sind die flowigen Trails von Anfang bis Ende spaßig. Der Reifen macht ein smoothes Fahrgefühl und schenkt leichtes Handling.
Pirelli Cinturato Mixed-Terrain vs. Hard-Terrain
Wenn wir uns für einen der beiden Reifen entscheiden müssten, dann wäre das im Hinblick auf Vielfältigkeit und Gravelbike-Tauglichkeit auf jeden Fall der Pirelli Cinturato Hard Terrain. Er ist in den meisten Offroad Situationen absolut ausreichend und bietet On-Road ein entspannteres Fahrgefühl. Er gibt einem auf der Straße das Gefühl, dass es absolut OK ist, auch mal auf Asphalt unterwegs zu sein. Mit dem Pirelli Gravel Mixed Terrain hingegen hatten wir das Gefühl, auf unbefestigten Wegen sehr gut aufgehoben zu sein. Besonders dann, wenn der Untergrund nass war. Allerdings geht der Pirelli Mixed Terrain schon eher in Richtung Mountainbike.
Pirelli Cinturato 35mm 700c vs. 45mm 650b
Genau da können wir mit den verschiedenen Breiten und Dimensionen anknüpfen. Denn für einen 28 Zoll MTB-Reifen mit 35 mm Breite mag es sicher die ein oder andere Situation geben (Tracklocross, Cyclocross, begrenzte Reifenfreiheit, …), allerdings gibt es wohl wesentlich mehr Umstände, die für breitere Reifen oder mehr Volumen sprechen, wenn es der Rahmen zulässt. Wir treten dem Pirelli Cinturato Mixed Terrain deswegen nicht seine Daseinsberechtigung ab, würden uns aber im Zweifel auf jeden Fall für die breitere 650b Variante mit 45 mm Breite entscheiden. Alles dazwischen kann auch absolut sinnvoll sein, je nach Einsatzgebiet und Untergrundbeschaffenheit.
Fazit
Pirelli hat mit dem Cinturato Gravel Hard und Mixed Terrain zwei richtig gute Gravel-Reifen an den Start gebracht. Sie sind sehr gut verarbeitet, lassen sich leicht aufziehen, bieten viele Einsatzmöglichkeiten und sind sehr pannen-resistent. Wer hauptsächlich auf Asphalt unterwegs ist, der sollte lieber mal einen Blick auf die Pirelli Cinturato Velo in 32 oder 35 mm werfen. Für alle, die aber am liebsten Offroad unterwegs sind, ist der neue Pirelli Gravel Reifen wie gemacht und durch die Vielzahl an Modellen auch noch an jede Situation anpassbar.
Hallo,
Danke für den Test. Aber hätte man zum Vergleichen nicht besser die gleiche Reifenbreite wählen sollen?
Ein Vergleich 35 vs. 45 mm macht aus meiner Sicht kaum Sinn.
Beste Grüße aus HH
Henninh
Ich hatte bisher 43mm Gravelking SK auf dem Graveklbike und war sehr zufrieden, bis die Schlammschlacht letzten November begann und mit dem SK bergauf wie bergauf nichts mehr ging, weder bei Schlamm noch nassem Laub.
Dann den Cinturato M und 35mm probiert und es war wie ein neues Rad/alles wieder sicher beherrschbar.
Jetzt wo es langsam wieder trockener wird, merkt man dagegen den geringeren Komfort des 35er Reifens zum 43er, daher dachte ich demnächst an den Cinturato M in 40mm als Ganz-Jahres-Allrounder (was der SK für mich nach den Erfahrungen im November definitiv nicht mehr ist).
Ist das eine Alternative, hab ich ich mit 40mm noch genug Grip im nächsten Herbst-Matsch oder ist der Cinurato M dann zu breit und nicht viel besser als der SK, ist die geringe Breite nötig, um sich in den Matsch zu “schneiden”?
Hallo Jo,
schwer zu sagen. Das kommt darauf an, wie oft du auf der Straße unterwegs bist. Ich fahre meistens nur 30 Prozent richtig Offroad mit Schlamm und Modder etc. Daher reicht mir der Cinturato M wirklich aus. Aber klar ist, je breiter die Auflagefläche und je mehr bzw. größere Stollen, um so besser fürs Gelände. Fährst du Tubeless? Dann musst du ja eh die Milch nachfüllen und kannst für den Winter einen anderen Reifen drauf ziehen. Ich denke der Cinturato M ist ein sehr guter Alleskönner, aber irgendwann kommt auch er an seine Grenzen.