Prolog: Faszination der Einfachheit
Als mein Horizont über das kleine Universum meines Heimatdorfes hinaus wuchs, war das Fahrrad nicht ganz unschuldig daran. Als Jugendlicher ohne Fahrerlaubnis war das Fahrrad damals auf dem Land die einzig wirklich flexible Möglichkeit, eigenständig von A nach B zu kommen und selber die Welt zu entdecken. Und so begleiteten mich verschiedenste Räder auf meiner Entdeckungsreise. Zunächst mein kleines Kinderrad, das allerdings die Grenzen meines Dorfes nicht verließ, mir jedoch die Grenzen meines Körpers aufzeigte und mir meinen ersten Fahrradsturz und meine erste Bekanntschaft mit der chirurgischen Ambulanz des Krankenhauses in der großen Stadt bescherte. Es folgten mehrere Räder, an die ich mich kaum erinnern konnte, weil zu dem Zeitpunkt das Fahrrad einfach nur ein Fahrrad war.
Und dann passierte es: Passend zu einem Alter, in dem ich damit begann, auch mal cool sein zu wollen, trat das Mountainbike in mein Leben. Damals der neueste Schrei, frisch aus Amerika. Mein erstes Mountainbike war budgetbedingt nicht ganz so cool und kam aus Italien beziehungsweise Taiwan, aber das war mir egal. Ich hatte ein „cooles“ Bike und fuhr damit durch die Gegend. Es hatte einen Stahlrahmen, keine Federung und Cantileverbremsen sowie eine irre 21-Gang-Schaltung von Shimano. Dieses Fahrrad steht heute noch in meinem Keller und erinnert mich daran, wie alles anfing. Und auch, wenn es heute alles andere als hip oder cool ist: Dieses alte Fahrzeug hat mein Leben doch nachhaltig beeinflusst.
Es folgte mein erstes Alubike. Die erste Federgabel. Das Fullsuspension-Downhillbike. Gefolgt von vielen weiteren Fullsuspenion-Downhillbikes, die irgendwann sogar funktionierten. Scheibenbremsen, die bremsten. Dämpfer, die dämpften. Reifen, die Grip hatten. Ich fuhr immer schneller und weiter und ich flog immer höher. Bis sich irgendwann, ganz heimlich, eine weitere Gattung Fahrrad in mein Leben schlich: das Rennrad. Plötzlich wieder ungefedert, plötzlich wieder ganz ursprünglich. Dafür immer weiter. Und dann bekamen auch diese Straßenräder Scheibenbremsen und Tubelessreifen. Der technische Fortschritt war überall. Und je besser die Bikes wurden, desto älter wurde ich und desto mehr wuchs das Interesse an alten Dingen, die zwar nicht besser, aber oft genug stilvoller und zeitloser sind, als all der Schnickschnack.
Die Surly-Philosophie
Nun sitze ich alter Sack mit so vielen Fahrrädern im Kopf irgendwo in der Fränkischen Schweiz, wo mir von einem zotteligen Ami mit jeder Menge Tattoos recht konzeptlos die neuesten Fahrräder einer Firma vorgestellt werden, die ich bisher nie wirklich verstanden hatte. Ich fand Surly Bikes nie wirklich innovativ, modern oder schön und irgendwie sahen die Räder der US-Company in meinen Augen seit Jahren gleich aus. Der zottelige Ami namens Trevor klickt sich durch seine Powerpoint-Präsentation und wirkt ein wenig, als wäre es ihm recht, wenn er damit schnell durch ist.
Trotzdem bleiben ein paar Infos hängen. Dieses neue Fahrrad, um das es geht, heißt „Bridge Club“. Es ist aus Stahl und die Highlights sind ein besonders schlichtes Ausfallende, Montagepunkte für Gepäckträger und Schutzbleche und die Tatsache, dass man 650B und 28 Zoll-Laufräder einbauen kann. Wow. Und es ist knallig-türkis-blau, was tatsächlich ziemlich cool ist. Ich bin noch nicht vollends geflasht und ehe es dazu kommt, verkündet der zottelige Trevor, dass er jetzt lieber mal ein Video bei Youtube zeigt, das die Surly-Idee bestens rüberbringen soll. Und ich sehe das hier:
„Surly steht für Stahl. Steel is real. Stahl ist vielseitig, haltbar und komfortabel.“
Trevor
Yeah, schon die Musik versetzt mich zurück in die 1990er, wo wir zu schrammeliger Punkmucke die Trails im Stadtpark rockten, danach die Rathaustreppen runtersprangen und zum Schluss im kleinsten Radladen der Stadt abhingen und über neue Bikes philosophierten. Wir träumten von edlen US-Bikes, doch in Wirklichkeit hatten wir eh keine Kohle dafür, aber umso mehr Spaß auf unseren abgerockten Karren. Ein guter Spirit, der in diesem Video bestens transportiert wird und der Lust auf Radfahren macht.
Die Testfahrt aka Zeitreise mit dem Surly Bridge Club
Gutes Stichwort. Es geht los. Ich sattle meinen Gaul namens Surly Bridge Club und „freue“ mich darüber, dass nichts wippt und federt. Einzig die dicken Reifen sorgen für einen gewissen Komfort. Ansonsten fährt dieses Fahrrad einfach. „Fährt sich wie ein Surly, oder“? Trevor erklärt mir, was genau er damit meint: „Surly steht für Stahl. Steel is real. Stahl ist vielseitig, haltbar und komfortabel.“ Und das passe perfekt zu den drei wichtigsten Grundsätzen von Surly. „Ein Surly muss drei Dinge können: Es muss nützlich sein, ein Leben lang halten und vielseitig einsetzbar sein“. Im Sinne dieser Philosophie arbeitet Surly seit 20 Jahren mit demselben Rahmenbauer und denselben Zulieferern zusammen. Ein symphatisches Konzept im Sinne der Nachhaltigkeit.
Das ergibt für mich so weit Sinn. Dieses Bike fährt sich total gutmütig: Es pedaliert sich entspannt bergauf und bleibt auch bergab unter Kontrolle. Es ist kein Downhillbike und auch keine Crosscountry-Feile. Es ist einfach ein Fahrrad, mit dem man immer weiter fahren kann. Und selbst, wenn du das ein paar Monate am Stück machst, erwarten dich keine bösen Überraschungen. Denn am Surly Bridge Club ist nichts verbaut, das man nicht irgendwie mit gängigen Hilfsmitteln repariert bekommt. Das Stahlausfallende kann man im Notfall einfach gerade biegen. Die außen verlegten Züge sind jederzeit zugänglich und lassen sich leicht austauschen. Mechanische Scheibenbremsen sind quasi unkaputtbar. Laufräder mit 135 mm Achsbreite sind überall auf der Welt ersetzbar. Und falls man wirklich auf große Reise gehen will, lässt sich so ziemlich alles montieren, was dabei helfen kann. Ohne Ende Trinkflaschen zum Beispiel, einen Gepäckträger oder Schutzbleche. Und zwar an robusten Gewinden mit Schrauben, die es im Baumarkt gibt. Wenn man alle Schrauben entfernt, die an diesem Rad potenzielles Zubehör fixieren könnten, wäre es ein gutes Stück leichter.
Die Moral aka. das Fazit: Surly Bridge Club
Ein paar Stunden später sind wir zurück. Ich hab ein dickes Grinsen im Gesicht, denn ich hatte eine gute Zeit auf dem Bike. Ich hab schöne Trails gerockt, bin herrlich durch die vielen Schotterkurven geslidet und war sogar im Biergarten. Ich hatte einen Mordsspaß – ganz ohne Carbonrahmen, Dropperpost und KOM-Rekorde. Und ich habe das Gefühl, dass ich zum ersten Mal verstanden habe, was die Jungs bei Surly Bikes da treiben! Es war eine kleine Zeitreise in die Vergangenheit, als ich begann, mit dem Fahrrad die Welt zu entdecken. Vielleicht ist es mal wieder Zeit für eine neue Mission? Das „Bridge Club“ wäre sicher ein zuverlässiger Begleiter! Danke Trevor, für diese anschauliche Erklärung der Surly-Philosophie.