Allgemeines
Wer bisher auf einem Giant mit Dropbar durchs Gelände rauschen wollte, musste sich eines „TCX Advanced“ bedienen. Das hat funktioniert, aber natürlich besitzt dieses Rad noch deutliche Cross-Gene. Es war also eigentlich eine Frage der Zeit, bis Giant mit einem reinrassigen Gravelbike um die Ecke kommen würde. Nun ist es also soweit: Das Giant Revolt Advanced ist da! Wie man es von Giant gewöhnt ist, hat es eine Weile gedauert, denn ganz sicher will einer der weltgrößten Bikehersteller keinen Schnellschuss abgeben. Und wie es sich fürs lifeCYCLE Magazine gehört, wollen wir keinen Express-Test abliefern, sondern das neue Rad ganz genau unter die Lupe nehmen. Knapp 1.000 Kilometer weit musste es sich bewähren – einen großen Teil davon auf der Fahrt von Hamburg nach Berlin, beim Hansegravel, der ersten großen Graveltour des Jahres. Wir waren gespannt, wie ein Flitzebogen: Auf die Tour mit tollen Trails und astreinem Bikepacking-Abenteuer und darauf, wie sich das neue Revolt unterwegs schlagen würde.
Um keine bösen Überraschungen zu erleben, macht es natürlich Sinn, sich vorab ein wenig mit dem neuen Bike auseinanderzusetzen. Bei uns im Ruhrpott sind die Bedingungen dafür super. Viele schöne Singletrails, geschotterte Bahntrassenradwege und natürlich allerlei Forstwege stellten eine schöne Spielwiese zum Kennenlernen für Rad und Radler. Damit ihr es auch kennenlernen könnte, stellen wir euch im Folgenden zunächst einmal unser Testrad, das „Revolt Advanced 1“, detailliert vor.
Unser Testbike: Giant Revolt Advanced 1
Das Giant Revolt ist in Deutschland in zwei Ausstattungsvarianten erhältlich. Das deutlich teurere „Advanced 0“ wechselst für 3.599,90 Euro den Besitzer und ist mit einer Shimano Ultegra Gruppe und Zweifach-Antrieb ausgestattet. Unser Testbike, ein „Revolt Advanced 1“ ist mit 2.499,90 Euro um einiges günstiger und kommt mit SRAM Apex 1×11-Gruppe – das ist uns sowieso lieber, die Wahl fiel also nicht schwer.
Beiden gemein ist ohnehin der neue Rahmen, gefertigt aus Carbon und versehen mit einigen interessanten Features. Denn er hat mehr zu bieten, als eine sehr gefällige Formsprache. Allerdings kann man die Highlights der Konstruktion nicht wirklich sehen. Da wäre die Geometrie, die den Fahrer in einer relativ aufrechte Sitzposition bringen soll, was zum einen für ein gutes Handling verantwortlich sein, zum anderen aber auch auf langen Fahrten im Bikepacking-Style ausreichend Komfort bringen soll.
Für Letzteres soll auch die spezielle Verarbeitung der Carbonfasern sorgen. Diese sind so angeordnet, dass sie einen äußerst komfortablen Rahmen ergeben, ohne jedoch an den wichtigen Stellen Steifigkeit einzubüßen. Das bedeutet: Das Bike soll sich effizient und aggressiv beschleunigen lassen, gleichzeitig aber die ganzen feinen Schläge der Trails und Schotterwege abschwächen und somit Ermüdung vorbeugen.
Unterstützend zu den Eigenschaften des Rahmens sollen die Giant eigenen „D-Fuse“-Parts wirken. Das Prinzip ist dasselbe: Die Teile sind so ausgelegt, dass sie zwar steif sind, aber eine gewisse Nachgiebigkeit besitzen, um Stöße vom Untergrund abzufedern. Die breiten Reifen tragen ebenso ihren Teil dazu bei.
Womit wir schon bei den Parts wären. Bis zu 45 mm breite Reifen passen in Rahmen und Gabel. Verbaut sind an unserem Giant Revolt 40er, man könnte also nocht breitere fahren. Giant verbaut Reifen aus der eigene Zubehörpalette, sie hören bezeichnender Weise auf den Namen „CrossCut Gravel“. Das Bike wird mit Tubeless-Kit ausgeliefert, ist also ruckzuck auf den Schlauchlos-Einsatz umgebaut.
Wir erwähnten es bereits: Die günstigere Version vom Giant Revolt kommt mit 1×11-Antrieb. Wir mögen das sehr, denn es macht sie Sache in vielerlei Hinsicht einfach und hat sich mittlerweile wirklich bewährt. Um auf Nummer sicher zu gehen, hat Giant das Revolt mit einer Kettenführung ausgestattet und bleibt sich seiner Linie aus dem MTB-Bereich treu: Dort macht man das auch so. Passend zur Gruppe kommt das Rad mit Apex-Scheibenbremsen, ein paar Giant-eigene Parts runden das Paket ab.
Zum Schluss unserer kleinen Übersicht wollen wir noch ein paar schöne Details erwähnen. Da wären zum Beispiel die verschiedenen Gewindesockel zur Montage von Zubehör. So lässt sich zum Beispiel ein Gepäckträger montieren. Die Gewinde sind von einer dezenten schwarzen Platte verdeckt, ein schönes Design-Detail, wenn man keinen Gepäckträger fährt, das außerdem das Gewinde schützt. Gut gefällt uns auch der ins Design integrierte Unterrohrschutz – an einem Carbonrahmen ein absolut sinnvolles Detail. Insgesamt überzeugt das Revolt mit einer total cleanen Erscheinung. Wie aus einem Guss steht es da und wartet nur so darauf, für die große Reise bepackt zu werden!
Setup
Für die Hansegravel-Fahrt haben wir ein bisschen Packesel mit dem Giant Revolt gespielt und es ordentlich beladen. Neben dem üblichen Kleinkram hatten wir ein Vaude Lizard GUL 1P Zelt samt Isomatte und Schlafsack dabei. Die drei Teile füllten die Ortieb Satteltasche schon ganz gut aus, obendrauf kam noch ein leichtes Stativ. Handy, Powerbank und wichtiger Kleimkram wurde vorn in der „EXP Series Toptube Bag“ von Salsa verstaut und als Lenkerrolle verwendeten wir eine Salsa EXP Anything Cradle. Schnell noch die Klingel und ein Wahoo Elemnt vorne dran und es konnte losgehen!
Giant Revolt: Ausstattung und Geometrie
Alle Infos direkt vom Hersteller gibt’s unter https://www.giant-bicycles.com.
Ausstattung
- Preis: 2.499,90 Euro
- Gewicht: circa 9,2 kg (ML)
- Rahmen: Giant Revolt Advanced Carbon, OverDrive Steuerrohr, MegaDrive Unterrohr, D-Fuse Sitzrohr mit integrierter Sattelstützen-Klemmung, PowerCore BB86-PressFit Carbon Tretlagergehäuse, integrierte FlatMount Scheibenbremsen-Aufnahme, integrierte Smart-Mount Gepäckträger-Aufnahme, integrierter X-Defender Unterrohr- und Kettenstreben-Protektor, interne Zugverlegung, RideSense ready
- Rahmengrößen: S, M, M/L, L, XL
- Lenker: Giant Contact XR D-Fuse, Flare Drop, 5° back, 31.8
- Vorbau: Giant Connect, ±8°, 31.8
- Sattel: Giant Contact Neutral
- Sattelstütze: Giant D-Fuse Carbon 2-Bolt, 30.4/25.4×357
- Bremsen: SRAM Apex 1 HRD, Hydraulik-Scheibenbremse, CenterLine-Rotoren (160 mm)
- Schaltung: SRAM Apex 1, 1×11
- Kurbeln: SRAM Apex 1 X-SYNC, 40 Zähne / G-CX ChainGuide
- Schaltwerk: SRAM Apex
- Kassette: SRAM XG-1150 Full Pin 11-fach, 10-42 Zähne
- Kette: SRAM PC-1110
- Naben: Giant by Formula GRX Cross Disc, 12×100 mm- / 12×142 mm-Steckachse
- Felgen: Giant PX2 Disc Laufrad-Satz, ETRTO 19-622
- Reifen: Giant CrossCut Gravel 1, 60 TPI, faltbar, schlauchlos, 40-622
Geometrie
S | M | ML | L | XL | |
---|---|---|---|---|---|
Reach | 375 mm | 381 mm | 385 mm | 391 mm | 402 mm |
Stack | 558 mm | 572 mm | 588 mm | 602 mm | 616 mm |
Oberrohr | 540 mm | 550 mm | 565 mm | 575 mm | 590 mm |
Kettenstrebe | 425 mm | 425 mm | 425 mm | 425 mm | 425 mm |
Tretlager Überhöhung | -70 mm | -70 mm | -70 mm | -70 mm | -70 mm |
Lenkwinkel | 70,5 Grad | 70,5 Grad | 71 Grad | 71 Grad | 71 Grad |
Sitzwinkel | 73,5 Grad | 73,5 Grad | 73 Grad | 73 Grad | 73 Grad |
Radstand | 1020 mm | 1031 mm | 1036 mm | 1046 mm | 1062 mm |
Giant Revolt: Die Testfahrt
Hansegravel – so hieß die Tour, in deren Rahmen wir das Giant Revolt ausgiebig getestet haben. 650 Kilometer in drei Tagen – von Hamburg nach Berlin. Das Ganze war eine eine Art Gravel-Saisonauftakt, eine Ausfahrt, an der rund 200 Fahrer teilnehmen. Die Route folgte dem Hanseatenweg, ein herrlich gelegener Wanderweg mit ganz hohem Offroadanteil. Soviel können wir schonmal verraten: Die Tour war richtig gut und sollte sie im nächsten Jahr wieder stattfinden, können wir nur empfehlen, daran teilzunehmen! Die ausführliche Geschichte dazu findet ihr jedenfalls in unserer Ausgabe #7.
Die Fahreindrücke
Die Tour mit dem Giant Revolt steht unter einem guten Stern. Denn der allererste Gedanke nach ein paar Metern ist: Wow – passt wie angegossen! Ob das wirklich so ist, muss sich natürlich erst noch herausstellen. Fakt ist aber: Man sitzt sehr komfortabel auf dem Bike, die eher aufrechte Sitzposition fühlt sich erstmal angenehm an. Dazu kommt die wirklich angenehme Lenkerform: Der leicht nach hinten gekröpfte Lenker wirkt sehr ergonomisch, was Martin’s vom Mountainbiken geschundenen Händen sehr entgegen kommt. Einzig die Montage des Wahoo-Halters gestaltet sich etwas schwierig, da der 31,8er Klemmdurchmesser sich durch die Kröpfung sofort verjüngt – dickes Doppelseitiges Klebeband muss aushelfen. Die ersten Meter sind aber, abgesehen von diesem kleinen Problemchen, sehr vielversprechend.
Es macht nochmal einen großen Unterschied, ob man mit unbeladenem Bike durchs heimische Unterholz rollt, oder in voller Bikepacking-Montur Kilometer macht. Erstere Disziplin meistert das Revolt mit Bravour: Der kompakte Rahmen sorgt nicht nur für eine komfortable Fahrt, sondern macht auch richtig Spaß. „Spritzig“ ist hier ein passendes Wort – flowige Singletrails jedenfalls machen richtig Spaß! Es ist ein bisschen wie Mountainbikefahren. Nur ungefedert und mit Dropbar. Jedenfalls gibt es kaum eine Situation, in der sich das Rad nicht sicher anfühlt und in der man nicht das Gefühl hat, dass das Fahrrad dem Untergrund nicht gewachsen wäre.
Zwei klitzekleine Probleme tauchen dann aber doch noch auf. Erstens löst sich die Hinterradachse ein bisschen. Hier macht es auf jeden Fall Sinn, ab und zu mal zu checken und bei Bedarf nachzuspannen. Bei Problem Nummer zwei löste sich auch etwas. Und zwar die Klemmung der Sattelstütze. Die in den Rahmen integrierte Klemmung ist optisch sehr gelungen und sie funktioniert auch. Allerdings ist es wichtig, dass man sie richtig anzieht. Ein bisschen Gefühl kann nicht schaden – eine normale Schelle ist hier sicherlich etwas unempfindlicher. Will man sie dann später lösen, „klemmt“ es anfangs etwas, bis der Klemmkeil sich einmal gelöst hat. Ein wohl dosierter Schlag auf den Sattel hilft. So ist das eben: Wer gut aussehen möchte (oder ein Bike will, das es tut), der muss eben gewisse Kompromisse eingehen – und dieser hier ist absolut zu verkraften.
Der große Tag: Mit der Bahn geht es nach Hamburg, wo die Hansegravel Tour startet. Mehr als 600 Kilometer in drei Tagen, das ist eine Herausforderung, zumal die Strecke überwiegend über unbefestigte Wege führen soll. Das Revolt jedenfalls scheint gerüstet zu sein: Alle Taschen lassen sich problemlos verstauen, das Gesamtpaket hält sich Gewichtsmäßig in Grenzen und alles zusammen fährt sich erstaunlich gut. Die ersten Kilometer raus aus Hamburg lassen also bereits darauf hoffen, dass keine größeren Probleme auftauchen würden.
Die Fahrt gestaltet sich recht unspektakulär – zumindest hinsichtlich möglicher Defekte. Einzig ein „Beinahe-Platten“ bringt eine kurze Zwangspause mit sich. Offenbar hatte der Tubeless-Reifen noch nicht richtig abgedichtet und es konnte Luft entweichen. Aufgrund von Faulheit versuchte es Martin zunächst mit Nachpumpen und tatsächlich machte der Reifen bis zum Ende keine Probleme mehr. Das ist ein bisschen der Fluch und der Segen von Tubeless. In diesem Fall eher ein Segen. Im schlimmsten Fall hätte man einen Schlauch montieren müssen. Das war hier nicht der Fall – stattdessen konnte Martin weiterhin von den spürbar angenehmen Eigenschaften der Tubeless-Bereifung profitieren. Trotz geringem Luftdruck rollt der gut, bietet dafür super Grip und hohen Komfort – insgesamt passt er sehr gut zum Rad. Einzig auf den tiefen Sandpassagen konnte auch der Reifen nichts mehr ausrichten. Das war aber ganz normal: Hier mussten alle auch mal schieben.
Kommen wir zu einem Punkt, der wirklich erwähnenswert ist. Trotz anspruchsvollem Untergrund, viel Gepäck und mit rund 200 Kilometern durchaus langen Etappen blieben ernsthafte körperliche Beschwerden aus. Keine Rückenschmerzen – im Falle Martin durchaus eine Besonderheit! Auch die Hände fühlten sich bis zum Ende gut an. Beides untrügliche Zeichen dafür, dass zum einen die Geometrie vor allem auch für lange Fahrten gut funktioniert. Zum anderen scheint das „Komfort-Konzept“ von Rahmen und D-Fuse-Parts voll aufzugehen. So macht das Fahren Spaß! Und obwohl das Rad so komfortabel zu sein scheint, fühlt es sich überhaupt nicht „weich“ an: Man kann richtig Gas geben und ordentlich in die Pedale treten, ohne, dass man das Gefühl hat, dass sich unter einem irgendetwas „verbiegt“. Hier hat Giant wirklich einen guten Job gemacht!
Fazit
Das Giant Revolt ist für uns ein ganz heißes Eisen im 2019er Gravelgeschäft! Nicht nur, dass es ziemlich gut aussieht: Es fährt sich auch so! Vor allem der Komfort ist bemerkenswert und trägt dazu bei, dass auch ausdauernde Bikepacking-Touren mit viel Gepäck richtig Spaß machen. Und auch die Ausstattung passt – trotz (oder gerade wegen) der günstigeren Variante. Insbesondere der 1×11 Antrieb kann uns voll überzeugen. Dazu die gute Allround-Tubeless-Bereifung und fertig ist ein ziemliches Rundum-Sorglos-Gravelbike, das auch anspruchsvollen Radlern keinen Grund zum Meckern gibt.