Vier Radler unterwegs auf einem typischen „Kolonnenweg“ in Ostdeutschland

Wahnsinn! Warum schickst Du mich …

Zwischen Zimtschnecken-Delirium und Schlafsack-Symphonie rollten wir 400 Kilometer Richtung Wahnsinn – äh, Wartburg! Ein Brevet voller Teamliebe, Tankstellenromantik und Stempeljagd. Erkenntnis des Tages (und der Nacht): Fernlicht macht nicht schneller, aber weniger blind. Irgendwo zwischen Kettenöl und Kaffee IV wurde klar: Das ist kein Radfahren. Das ist ein Festival auf zwei Rädern. Das „Gruppetto Bartali“ dankt den Organisatoren. Einen ausführlichen Beitrag zu Erlebnissen aus der Flèche lest ihr in der aktuellen Ausgabe des Magazins (#24).

Wir waren hier! Spuren an laternenpfählen.
Wir waren hier! Spuren an Laternenpfählen.

Interview mit Jörg, einem der Organisatoren der Flèche Allemagne

LCM: Stell Dich und Deine Crew doch erstmal kurz vor
Jörg: Audax Randonneurs Allemagne e.V. ist die Organisation, die vom ACP als einzige in Deutschland autorisiert ist, Brevets nach den Regeln von Randonneurs Mondiaux zu organisieren. Nur diese legitimieren zur Teilnahme an Paris-Brest-Paris.

LCM: Nimm uns kurz mit: Wer und was ist der ARA? 
Jörg: ARA wurde 1991 von Claus Czycholl ins Leben gerufen. Claus war einer der ersten Deutschen, die PBP mitgeradelt sind. Durch seine hervorragenden Kontakte, insbesondere zu Robert Lepertel, der Brevets internationalisierte, konnten unter dem Namen von ARA Brevets homologisiert werden. Mitglied bei ARA können nur Organistatoren von Brevets in Deutschland werden.

LCM: Seit wann organisiert Ihr die Flèche und wir kamt Ihr dazu?
Jörg: Die erste Flèche wurde 2005 ausgetragen und fand auf Initiative von Claus Czycholl statt. Der ACP (Audax Club Parisienne) organisierte schon immer in Frankreich die Flèche Velocio, mit Robert Lepertel wurde diese Sternfahrt dann internationalisiert. Zur ersten Austragung waren auch Robert und seine Frau Suzanne selbst zugegen.

LCM: Wenn ich richtig gerechnet habe, findet die Flèche zum neunten Mal statt, nächstes Jahr gäbe es also ein kleines Jubiläum. Was ist geplant?
Nächstes Jahr nicht, da die Flèche Allemagne nur alle zwei Jahre organisiert wird. Die 10te findet also 2026 statt. Ob und wie wir die dann organisieren, das werden wir nächstes Jahr diskutieren. Mittlerweile steht fest, dass es auch 2026 eine Flèche geben wird.

LCM: Wie kam es zu dem Ziel Wartburg und ist das seit Beginn so?
Die Wartburg liegt ziemlich zentral in Deutschland und es gibt nur wenige Orte in Deutschland, die so geschichtsträchtig sind.

LCM: Versuch mal kurz zu umreißen, was genau alles zu tun ist; was müssen Teams und Fahrerinnen beachten?
Der Organisationsaufwand für die Flèche ist schon enorm. Das läuft ja neben den Brevets, die wir vor Ort organisieren. Am aufwendigsten ist sicherlich die Organisation in Eisenach, da wir dort keinen eigenen Organisator haben. Da sind Absprachen mit der Stadt wegen Duschen, mit der Wartburg zur Zielankunft und dem Catering notwendig. Die Registrierung der Teilnehmer und Streckenkontrolle ist auch nicht ohne.

Das alles macht ein kleines Team von 7 Leuten:

  • Olaf (ARA Leipzig) organisiert alles in Eisenach, Felix (ARA Ruhrgebiet) kontrolliert die Strecken.
  • Igor (ARA München) kümmert sich um Medaillen, Rahmenschilder, Brevetpässe und das Anmeldeformular.
  • Walter (ARA Breisgau) erstellt die Digitalen Brevetkarten undnRainer (früher ARA Rheinland) macht die Kommunikation. Hinzu kommen Christian (ARA Mittelhessen), zuständig für die Zielkontrolle und
  • Jörg (ARA München) verantwortet die Teilnehmerregistrierung, die Teilnahmegebühren, verschickt die Unterlagen und hält das Team zusammen

LCM: …und das alles ehrenamtlich? Wieviel Zeit investiert Ihr?
Ehrenamtlich, sowieso. Eines der Prinzipien von Brevets ist ja, das nur die direkten Kosten gedeckt werden. Deswegen sind sie auch im Vergleich zu anderen Rad-/Bikepacking Events extrem preiswert. In der Hochphase ist jeder bestimmt 2 Stunden täglich dabei

LCM: Stellt das Fahren im Team eine  zusätzliche Herausforderung im Gegensatz zum Soloritt dar?
Wichtig ist ja, dass das Team zusammen in Eisenach ankommt. Man radelt durch die Nacht. 5 Randonneure zu finden, die den gleichen Rhythmus in Bezug auf Pausen und Schlafen haben ist schwierig. Es heißt also, aufeinander Rücksicht nehmen. Auch den eigenen Schweinehund für das Team überwinden. Aber das ist ja alles das, was den Randonneurssport auszeichnet, das miteinander zählt und nicht die Konkurrenz.

LCM: Auf Eurer Homepage schreibt Ihr, dass eine Flèche immer auch ein kleines Abenteuer sei, da auch bei bester Planung immer wieder Überraschungen passieren. Ich denke, dass alle Radfahrerinnen und Radfahrer solch unerwartete Situationen kennen. Von welchen wirklich abenteuerlichen Überraschungen könnt Ihr berichten?
Ooch, was ist schon Abenteuer? Ich kann das auch nicht für alle beantworten, da die Situationen, je nach Startpunkt in Deutschland höchst unterschiedlich sind. Für die aus dem Süden ist sicherlich der Thüringer Wald die größte Herausforderung, ziemlich wellig und sehr kalt in der Nacht. Da sind uns schon öfters die Trinkflaschen eingefroren.

Rene frampe fleche allemagne 2024 gruppetto bartali img 5530 | lifecycle magazine
Abenteuer oder Business as usual? Das kannst du mal schön für dich selbst entscheiden. 🙂 Foto: René Frampe

LCM: Verlier bitte noch ein paar Worte zur Routenplanung, bzw. deren Überprüfung. Wie aufwendig ist diese? Wie geht Ihr vor?
Eigentlich ist die Routenplanung ziemlich einfach: Aus den Koordinaten von Start und Kontrollen erstellen wir mit einem kleinen Script eine Strecke. Die laden wir in Bikerouter hoch und kontrollieren Streckenlänge und Entfernung der 7-Uhr Kontrolle von der Wartburg – Im Prinzip einfach. Leider liefern uns ziemlich viele Teams unbrauchbare Koordinaten zu den Kontrollen. Die liegen dann im Nirwana. Da müssen wir dann Nachhaken und die Korrekturen dann händisch in das System geben. Mehr Sorgfalt der Teams wäre toll. Aufwendig sind auch Tippfehler bei Namen und E-Mail Adressen der Teammitglieder. Da müsste es eigentlich Strafzeiten für geben.

LCM: Zu den Regeln gehört auch, dass die Routen sich deutlich unterscheiden müssen, vermutlich, damit nicht in großen Gruppettos gefahren wird. Je näher man dem Ziel und der 7 Uhr-Kontrolle kommt, desto geringer die Auswahl an Kontrollstellen. Viele Teams die aus dem Westen anreisen werden in Treffurt, vermutlich beim einzigen Bäcker, noch einmal Halt machen. Warnt Ihr die Kontrollstellen, an denen viel los sein wird, vor?
Das ist richtig. Es gibt nicht viele 7-Uhr Kontrollstellen, die am Sonntag geöffnet haben. Von uns werden die nicht vorgewarnt. In Treffurt z.B. steuern die Teams auch unterschiedliche Orte an.

LCM: In diesem Jahr nehmen (Stand 28.03.) über 80 Teams, meist in Fünferstärke teil. Das macht knapp 400 Personen, die vorab mit Informationen versorgt, deren 80 Strecken geprüft und die im Ziel verpflegt werden wollen. Wo ist hier aus Euerer Sicht die Kapazitätsgrenze erreicht?
Bei der absoluten Teilnehmerzahl gibt es noch etwas Luft nach oben, aber wir müssen das ja vorher planen. Bei der letzten Flèche hatten wir 270 Teilnehmer, für dieses Jahr haben wir mit 350 gerechnet. Das wurden dann auch schon überschritten, so dass wir die Anmeldung schließen mussten. Hauptgrund ist, dass wir einfach „nur“ 350 Medaillen, Rahmenschilder und Brevetpässe bestellt haben. Die haben drei Monate Vorlauf.

LCM: Wie kommen die Leute alle wieder weg aus Eisenach? Gibt es ein großes Chaos am Bahnhof?
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Radstellplätze in den ICE aus Eisenach und Erfurt gibt es sicherlich keine mehr. In den Regionalbahnen wird das Gedränge groß. Aber die bisherige Erfahrung zeigt, dass das Zugpersonal in der Regel sehr radlerfreundlich ist. Bislang sind alle heimgekommen.

LCM: „Homologation“, „Randonneur 5000“, „Randonneur 10000“ sind Begriffe, die einem bei der Auseinandersetzung mit dem Brevetwesen immer wieder begegnen. Kannst Du es kurz erklären?

  • Homologation: Im Prinzip heißt das „Bestätigung“. Mit der Homologation bekommt man eine Nummer, die dann in die weltweite Brevet-Datenbank des ACP eingespielt wird. Randonneur 5000/10.000/Challenge Lepertel: Damit möchte man Randonneure auszeichnen, die mehr als die Qualifikation zu Paris-Brest-Paris (PBP) absolviert haben (Im Jahr der Austragung müssen für die Qualifikation zu PBP ein 200er, 300er, 400er und 600er Brevet nachgewiesen werden).
  • R5000: komplette Serie 200/300/600/1000 + PBP + Flèche
  • R10000: R5000 + komplette Serie + 1200er + 600 mit mehr 8000 Höhenmeter
  • Challenge Lepertel: in vier aufeinanderfolgenden Jahren vier 1200er in mindestens 2 verschiedenen Ländern

LCM: Wie haltet Ihr es selbst mit der Langstrecke? Kommt Ihr bei all dem Engagement noch selbst aufs Rad?
Ja, logo. Die meisten von uns sieht man jedes Jahr auf irgendeinem 1200er.

LCM: Vielen Dank Jörg für Deine Zeit und das Engagement an Euer gesamtes Team. Gibt es im Nachhinein noch Dinge, von denen Du berichten möchtest? Die Stimmung insgesamt war ja hervorragend im Stadion.

Für uns war es eine schöne Flèche und eine würdige Gedenkfahrt für Claus. Das Wetter war ja brevetuntypisch auf unserer Seite und die Stimmung sowohl im Ziel bei der Wartburg als auch im Stadion war toll und friedfertig, so wie Randonneure halt sind. Von den 84 Teams schafften es 75 innerhalb von 24 Stunden bis zur Wartburg, 3 Teams kamen nur zu zweit an, 4 Teams sind nicht angekommen und jeweils ein Team ist nicht gestartet bzw. die Kontrollnachweise wurden nicht erbracht. 297 Randonneurinnen und Randonneure trafen sich dann im Stadion im Ziel. 

Die nächste Flèche Allemagne findet Ende April/Anfang Mai 2026 statt. Infos zur Flèche 2026 – stay tuned

Die Strecke

360 Kilometer mindestens, so das Regelwerk. Ein Mensch mit Berg- und einer mit Steinchenphobie machten das Planen nicht einfacher. Während der Fahrt stellte sich heraus, dass es auch noch Leute mit einer „Immer geradeaus“-Phobie gibt… Wer es mal ausprobieren möchte, die gefahrene Strecke findet Ihr in unserem Komoot-Profil.

Brevets, eine interessante Sache

Um Euch den Deepdive zu ersparen, haben wir für Euch ein paar Links zu weiteren Informationen rund um das Bresetwesen zusammengestellt, Auch zwei empfehlenswerte Filme sind dabei.

Wie geht Langstrecke, Olaf Hilgers? – Antritt Podcast bei Detektor FM: Olaf Hilgers organisiert Langstreckenfahrten in Sachsen und darüber hinaus. Auf Brevets fühlt sich der Randonneur pudelwohl.

Vier Sonnenaufgänge bis Paris – NDR Sportclub auf YouTube: Vier Sonnenaufgänge bis Paris begleitet die drei norddeutschen Randonneure bei ihrem Abenteuer im Sattel – 1.230 Kilometer in weniger als vier Tagen, unter anderem mit Claus Czychol.

Radmarathon „Paris-Brest-Paris“: Dieser Bremer hat es geschafft – Radio Bremen in der ARD-Mediathek: 1.200 Kilometer am Stück mit dem Rad durch Frankreich: Ein Bremer hat sich dem Radmarathon „Paris-Brest-Paris“ gestellt. Verfügbar bis bis 29.08.2025

Audax Randonneurs Allemagne (ARA) Homepage – ARA ist ein offener Zusammenschluss für alle, die Freude am sportlich orientierten und gemeinschaftlichen Radfahren haben. Alle Infos zu Brevets in Deutschland, selbstverständlich auch zur Flèche.

Der Namensgeber des Gruppetto – Gino Bartali

Lange wurde ein passender Gruppenname gesucht. Schnell stand fest, es muss ein Name mit Statement her, schließlich sind wir kein Kegelklub. „Rostige Randonneusen“ war also schnell wieder aus dem Rennen und hoffentlich auch nicht ganz ernst gemeint. Nach ein paar Textnachrichten stand fest: „Gruppetto Gino Bartali“ solle unsere Gruppe sein. In diesen Zeiten ein für uns politisch notwendiges Zeichen. Gino Bartali, einer der Gerechten unter den Völkern, rettete unzähligen jüdischen Menschen das Leben durch den Schmuggel gefälschter Dokumente.
Hier findet Ihr eine sehenswerte Doku über sein Leben:

Postiljon van de Vrede (Postillion des Friedens): Laurens ten Dam und Stefan Bolt haben einen wunderbaren Film über Gino Bartali gedreht, der im Zweiten Weltkrieg auf ganz besondere Weise falsche Identitätsnachweise für jüdische Bürger schmuggelte. Ten Dam und Bolt schlüpfen in die Rolle des bescheidenen Bartali und fahren die Schmuggelroute (Florenz-Assisi), die der Italiener unter Lebensgefahr fuhr. Sie sprechen unter anderem mit seiner Enkelin und den niederländischen Italienkennern Wilfried de Jong und Renate Verhoofstad.

Ebenso gibt es einen sehr empfehlenswerten Podcast der ARD-Podcastreihe Changemakers – Wie Sportler:innen die Welt verändern:

Teil 1: Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, wird der italienische Radprofi Gino Bartali „arbeitslos“: Er kann keine Rennen mehr fahren – nur noch trainieren. So scheint es zumindest. Doch was nach etlichen sinnlosen Trainingskilometern aussieht, sind die bedeutendsten Fahrten in Bartalis Karriere. Denn gut versteckt im Rahmen seines Rades transportiert er wichtige Dokumente und Informationen – als Kurier des italienischen Widerstands (Teil 1).

Teil 2: Da einige Wissenschaftler:Innen Zweifel am Wahrheitsgehalt der Taten hegen, die Gino Bartali zugeschrieben werden haben die Macher des Podcasts noch eine Feedbackfolge produziert.

Webimg 7899 | lifecycle magazine
Flèche Allemagne

Das ganze Abenteuer…

… kannst du in unserem neuen Magazin, LifeCYCLE Magazin #24, nachlesen. In unserer neuesten Ausgabe geht es ums echte Leben auf dem Rad: persönlich, ehrlich, berührend. Ohne Werbung. Dafür mit Haltung, Tiefgang und Leidenschaft. 100 Seiten voller Radabenteuer, Mutmach-Geschichten und Community-Spirit – auf hochwertigem Papier, gemacht für alle, die mehr wollen als schnellen Content.

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