Auf dem Weg in den Norden ist ein Stopp in Münster Pflicht für jeden Fahrrad-Fan. Man muss es erleben, warum diese Stadt unangefochten als die Nummer eins der deutschen Fahrradstädte gilt. Aber warum ist das so? Was läuft in Münster anders? Und ist das alles nur Fassade oder nutzen die Stadtväter selbst auch das Fahrrad? Was liegt näher, als es den zu fragen, der es wissen muss? Wir fragten den Oberbürgermeister von Münster, Markus Lewe, rund ums Fahrrad aus und er stand uns Rede und Antwort.
Interview mit Markus Lewe, Oberbürgermeister von Münster
Herr Lewe, mir wurde bereits zugetragen, dass sie ein ziemlicher Fahrradfan sind. Ist das wirklich so und wenn ja, warum?
Es ist so simpel: Fahrradfahren ist gesund und ökologisch zugleich. Für mich ist jede mit dem Rad zurückgelegte Strecke eine kleine Auszeit. Schnell und preiswert gelangt man in die Innenstadt. Die Promenade fungiert als einzigartiger Verteilerring rund um die Altstadt und ist ausschließlich für Radfahrer und Fußgänger reserviert. Durch die Nutzung des Fahrrades gelingt es, dem Stopp & Go, der Hektik und dem Staufrust nahezu komplett zu entgehen und gleichzeitig durch die Wahl dieses Null-Emissions-Verkehrsmittels einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Wer seinen Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad zurücklegt, holt sich ein Stück Freizeit in den Arbeitstag. Frische Gedanken, neue Eindrücke und Zeit zur Reflexion zweimal am Tag. Energie tanken auf dem Hinweg, Entspannung suchen auf dem Heimweg. Der Berufsalltag gewinnt durch das Radfahren an Lebensqualität und gibt Raum zur aktiven Auseinandersetzung mit der eigenen Umwelt.
Fahren Sie mit dem Rad ins Rathaus?
Oh ja! Ich fahre jeden Morgen meine acht Kilometer bis zum Rathaus. Und in der Regel auch am Abend zurück. Und das bei jedem Wetter. Wenn ich das einmal aus terminlichen Gründen nicht schaffe oder auf Reisen bin, fehlt mir dieses Ritual richtig. Radfahren ist hier in Münster einfach ein guter Einstieg in den Tag.
Was halten Sie davon, Fahrräder im öffentlichen Dienst als Dienstfahrzeuge einzuführen? Das würde eine Menge Steuergelder sparen und gleichsam die Gesundheit der Staatsdiener fördern, oder etwa nicht?
Da haben Sie absolut Recht. Natürlich nutzen viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter längst Dienstfahrräder. Es geht hier in Münster einfach oft schneller, wenn man das Rad nutzt. Das machen wir nicht nur zur Imagepflege, es ist einfach praktisch.
Laut ADFC ist Münster die fahrradfreundlichste Stadt Deutschlands und das zum 7ten Mal in Folge. Das wirft die Frage auf: was läuft in Münster anders, als in anderen Städten? Welche Probleme gibt es vielleicht dennoch in Münster oder ist Münster tatsächlich so perfekt?
Münster hat bei den Großstädten den höchsten Radverkehrsanteil am Verkehrsaufkommen in ganz Deutschland. 39% aller Wege werden von den Münsteranerinnen und Münsteranern mit dem Fahrrad zurückgelegt. Das Fahrrad liegt damit auf Platz 1, das Auto kommt auf lediglich 29%. Diese Zahlen sind das
herausragende Ergebnis einer langjährigen systematischen und sehr erfolgreichen Radverkehrsplanung in unserer Stadt. Zahlreiche Auszeichnungen und Wettbewerbssiege haben Münsters Weg an die Spitze der fahrradfreundlichsten Städte Deutschlands begleitet. Wir haben mehrfach den Fahrradklimatest gewonnen, Fahrradpolitik „made in Münster“ wurde zu einem Exportschlager. Andere Städte haben von uns gelernt und darüber hinaus eigene Lösungen für den Radverkehr entwickelt. Es wäre jedoch ein Fehler, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen.
Meine Erfahrung in Deutschland ist, dass es zwar durchaus gute Ansätze in Sachen Fahrrad Infrastruktur gibt, dass aber sehr oft die Mentalität auf der Straße zu wünschen übrig lässt. Ist Deutschland einfach ein Auto-Land oder woran liegt das?
Das kann man sicher bejahen, aber differenzierter betrachten. Bereits in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde in Münster erkannt, dass der enorme Zuwachs im Autoverkehr künftig kaum mehr zu bewältigen sein würde. Als Ergebnis dieser Erkenntnis wurde die Förderung des Radverkehrs als verkehrspolitisches Ziel formuliert. Diese Richtungsentscheidung steht völlig entgegen dem damaligen Aufschwung des Autoverkehrs in Deutschland. Ein Auto zu besitzen war Statussymbol und versprach individuelles Reisen und eine Mobilität, die es bis dahin so noch nicht gegeben hatte. Viele Maßnahmen, von denen etliche zum Zeitpunkt ihrer Realisierung geradezu revolutionär waren, sind aus dieser Förderung hervorgegangen. So waren im Jahr 1988, als der Rat beschloss, dass die Stadt Münster Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in Nordrhein-Westfalen e.V. wird, viele damals in anderen Städten noch kontrovers diskutierte Projekte in Münster bereits umgesetzt.
Letzten Sommer bin ich nach Kopenhagen geradelt, die Stadt, die ja als fahrradfreundlichste Stadt der Welt gehandelt wird. Schauen Sie auf solche Städte? Was kann selbst eine Stadt wie Münster von Kopenhagen lernen?
Diese Erfahrung kann ich nur bestätigen. Ich habe in den Sommerferien eine Radtour von Kopenhagen nach Berlin gemacht. Dabei habe ich mich in Kopenhagen natürlich auch sehr genau umgeschaut, mich inspirieren lassen und registriert, dass wir uns in Münster vor Kopenhagen nicht verstecken müssen. Schließlich wollen wir in Münster weiterhin als visionärer Trendsetter und Vorreiter neue, innovative und nachhaltige Konzepte entwickeln und in die Praxis umsetzen. So werden wir den Radverkehr in eine gute und sichere Zukunft führen. Und selbstverständlich wollen wir dabei kontinuierlich von Städten wie Kopenhagen, insbesondere aber auch von unseren niederländischen Nachbarn lernen. So stehen wir im Austausch mit international anerkannten Fahrradstädten wie Utrecht, Arnheim, Nijmwegen oder auch mit „Aufsteigerstädten“ wie Gent in Belgien. Von diesen können wir uns hinsichtlich konsequenter Radverkehrsförderung noch eine Menge abschauen. Wir sind aber auch sehr froh, dass unsere Expertise dort ebenfalls gefragt und geschätzt wird.
Wie sehen Sie die Entwicklung für die kommenden Jahre? Radfahren an sich erfreut sich doch steigender Beliebtheit und dann noch das Thema eBikes/Pedelecs. Ist Münster dafür gerüstet oder gibt es bald Stau auf dem Radweg?
Wenn wir unsere Spitzenposition auf Dauer halten wollen – und das wollen wir natürlich – dann müssen wir unsere Anstrengungen zu Förderung und Verbesserung des Radverkehrs intensivieren. Wir müssen weiter nachhaltige und innovative Akzente setzen und so den Radverkehr in eine gute Zukunft führen. Gerade in einer Zeit, in der technische Entwicklungen (Stichwort e-Bike) und radverkehrsrelevante wissenschaftliche Erkenntnisse neue Herausforderungen definieren, müssen wir alles unternehmen, das Fahrrad als anerkannt gleichberechtigtes Verkehrsmittel weiter zu fördern. Dazu wollen und werden wir in Münster viele große und kleine Räder drehen. Vor allem in puncto Verkehrssicherheit, Velorouten, Fahrradstraßen, Radwegweisung, Fahrradparken, und, und, und. Es bleibt somit noch eine Menge zu tun.
Werfen wir noch einen kurzen Blick auf andere deutsche Städte. Woran liegt es, dass in manchen Städten das Radfahren irgendwie bislang völlig unter den Tisch fiel? Wie viel Zeit braucht es überhaupt, um eine funktionierende Infrastruktur zu entwickeln?
Da kann ich nur für uns sprechen: Dass Münster Fahrradhauptstadt ist, ist das Ergebnis einer sehr langen und systematischen Radverkehrsplanung und einer ganz besonderen intensiven Beziehung unserer Bürgerinnen und Bürger zum Fahrrad. Bereits im Jahr 1948 wurde in Münster damit begonnen, den Radverkehr als Alternative zum Autoverkehr zu fördern. Über 300.000 Münsteranerinnen und Münsteraner wirken heute täglich an der Umsetzung eines Konzeptes zu Radverkehrsförderung mit. Denn in Münster fährt jeder Rad: alle sozialen Schichten und Altersgruppen schätzen das Fahrrad als Verkehrsmittel für ihre täglichen Wege. So sitzt jede Münsteranerin und jeder Münsteraner im Schnitt 20 Minuten pro Tag auf dem Fahrradsattel. Und, er besitzt statistisch gesehen fast zwei Leezen, wie das Fahrrad in Münster liebevoll genannt wird. Insofern kann man hier schon von einer historisch gewachsenen Dimension sprechen.
Zuletzt nochmal zurück zu Ihren Radfahrambitionen: haben Sie schon mal am Münsterland Giro teilgenommen?
Ja, in der Tat. Und es hat mir große Freude bereitet. Leider fehlt mir die Zeit, ausreichend zu trainieren. Sonst würde ich sicher jedes Jahr mitfahren.
Vielen Dank für das Interview.