Diese Geschichte ist eine besondere Geschichte. Denn im Grunde genommen musste ich gar nicht auf die Idee dazu kommen – die Vorlage schrieb mein eigener Werdegang. Es war nicht geplant oder bewusst. Es passierte einfach, dass ich immer öfter das Auto stehen ließ und zum Rad griff, um damit ins Büro zu fahren. Und damit ließ ich ganz viel Stress hinter mir, sparte manchmal sogar Zeit und ganz gewiss viel Geld. Es war ein natürlicher Zusammenhang: Das Auto bedeutete Lärm, Stress und Unwohlsein, während die morgendliche Radtour ins Büro nicht nur Mittel zum Zweck, sondern wahrer Luxus, echter Genuss wurde, sobald der Schweinehund einmal kurz überlistet war. Bis ich das Auto abgab und seither meinen gesamten Alltag per Fahrrad bestreite. Mit der Zeit lernt man natürlich Menschen kennen, die ähnlich denken und dieselben Erfahrungen gemacht haben.
Wohl wissend, dass ich nicht der Einzige bin, der so denkt und handelt, stellte ich eines Tages per Social Media die Frage, wer Lust hat, mir mal seinen Weg zur Arbeit zu zeigen. Das Ergebnis war überwältigend. Ich bekam unzählige Zuschriften mit begeisterten Ausführungen über verschiedenste (Rad-)Wege zur Arbeit. Hätte ich aus all diesen Routen eine Tour erstellt, hätte ich mehrere Wochen und tausende von Kilometern durch ganz Deutschland fahren können. Leider ging das nicht und ich musste mich ein wenig beherrschen. Ich kombinierte und überlegte – bis am Ende die Route zur Tour dieser Geschichte stand. Mitten im Winter wollte ich mich auf den Weg machen und ein paar tapfere Radpendler besuchen, stellvertretend für all jene, die das ganze Jahr über auch bei Wind und Wetter ihren Drahtesel der Blechbüchse vorziehen. Ich war gespannt auf ihre Geschichten.
Auf ihre Beweggründe, auf ihre Routen, auf ihre Fahrräder. Fünf Tage lang wollte ich unterwegs sein und dabei selbst zum XL-Commuter werden: Mein „Arbeitsweg“ für diese Geschichte würde am Ende über 800 Kilometer lang sein und ganz bestimmt – ganz nebenbei – ein spannendes Bikepacking-Abenteuer hergeben. Mit dieser Geschichte möchte ich alle Feiern, die das tägliche Pendeln mit dem Rad für dich entdeckt haben. Lass dich von ihrer Begeisterung anstecken und das Auto stehen, denn „bike to work“ ist ein Hit! Wenn du selber schon zu den Glücklichen gehörst, die das Fahrrad für ihre täglichen Pendelfahren entdeckt haben, dann genieße einfach diese Geschichte und zelebriere mit mir die sozialste, günstigste und erfüllendste Art der Fortbewegung – zelebriere mit mir das Fahrrad. Denn jedes Fahrrad ist #einautoweniger!
Prolog: Bike to work in Hamburg City
Es ist nicht immer leicht, sich zu beherrschen. Das Motto „Weniger ist mehr“ hält selten in meiner Planung Einzug. In diesem Fall war ich mir aber sicher: Hamburg muss sein, auch wenn der Abstecher in den Norden für die geplante Fünf-Tages-Tour einfach eine zu große Distanz darstellte. Also plante ich einen kurzen Hamburg-Besuch per Zug, quasi als Prolog, als Einstimmung zur eigentlichen Tour. Denn das Programm klang einfach zu vielversprechend: Zur Frühschicht wollte ich zum Tesa-Werk im Hamburger Norden radeln, mittags beim legendären Hamburger „Lunch Ride“ entspannen und den Nachmittag mit dem einzigen mir bekannten Außendienstler verbringen, der sämtliche Dienstfahrten per Fahrrad absolviert.
Dass ich heute morgen vom Hauptbahnhof aus den Hamburger Norden ansteuerte, um die Firma Tesa zu besuchen, kam recht unverhofft. Ich hatte davon gehört, dass Tesa seine Mitarbeiter intensiv mit einem Firmenbike-Programm umgarnt und einfach mal auf gut Glück ein Online-Kontaktformular ausgefüllt. Tatsächlich bekam ich Antwort von der „Media Relations Managerin“, Frau Beck-Berge, die sich auch direkt als passende Radlerin für meine Geschichte anbot. Bis dahin alles noch ganz förmlich und „per Sie“ und ehrlich gesagt erwartete ich eher eine durchstrukturierte Präsentation des Tesa-Vorzeigeprokjekts, als das, was nun geschah.
Nachdem ich mich auf meinem Fahrrad gerade durch die Hamburger Innenstadt gekämpft hatte, freute ich mich über die Ruhe im Niendorfer Gehege – weit konnte es nicht mehr sein bis zum Treffpunkt. Ich war bei Frau Beck-Berge zu Hause verabredet, um mit ihr gemeinsam rund zehn Kilometer bis zum Tesa-Headquarter an den Nordrand von Hamburg zu fahren. Ich weiß nicht genau, wen oder was ich erwartet hatte – auf jeden Fall war ich sehr überrascht, als die vermeintlich seriöse PR-Managerin in Spandex-Outfit vor ihrem versifften Rennrad stehend mit etwas Öl die geschundene Kette wieder gängig zu machen versuchte, während sie mich mit den Worten „Ah, Martin, da biste ja – kann gleich losgehen“ begrüßte. Läuft. Wenig später saßen wir auf unseren Rädern und setzten uns in Bewegung. Und Alex begann zu erzählen. Ihre Begeisterung über das Radfahren kam dabei schnell zum Ausdruck und je länger sie berichtete, desto mehr wurde mir klar, dass ihre neue Leidenschaft bei ihr von Null auf Hundert komplett eskaliert war. Noch vor zwei Jahren hatte die 41-Jährige mit Fahrrädern nichts am Hut, ging spazieren oder mal reiten. Bis Tesa nach Norderstedt umzog, samt vielen Mitarbeitern, die sich allesamt die Arbeitswegfrage neu stellen mussten.
Im Zuge des Umzugs ging man auch das „Betriebliche Gesundheits-Management“ neu an, denn man weiß ja heute, dass gesunde Mitarbeiter gute Mitarbeiter sind. Neben einem Sportclub in der Firma und einer Deluxe-Cafétteria wurde so auch das Angebot eines „Firmenrads“ eingeführt, inklusive Fahrradparkplätzen, Umkleiden und Duschen. Als Alex eines Tages das Firmenbike eines Kollegen probefuhr, befand sie es für gut und entschloss sich dazu, der Sache eine Chance zu geben. Ziemlich schnell war klar, dass sie per Drahtesel nicht nur schneller, sondern auch viel entspannter im Büro ankam. Schon bald legte sie die kurze Strecke entlang des Hamburger Flughafens täglich zurück und fing wenig später an, die Fahrten zu variieren und auszudehnen. Sie war total angefixt und tauchte tief in die Welt des Radfahrens ein. Sie startete bei Rennradrennen und ließ sich nicht einmal von einem heftigen Massencrash beim Münsterland-Giro einschüchtern. Spätestens, als sie mir von ihren Versuchen berichtet, den Familienurlaub als Rennrad-Abenteuer zu tarnen, war mir klar: Alex hat es voll erwischt!
Bei Tesa angekommen nehmen wir Kurs aufs Parkhaus. Unten drin befinden sich rund 150 Fahrradstellplätze, die selbst heute, mitten im Winter, gut gefüllt sind. Alex erzählt mir, dass die Stellfläche im Grunde ausgelastet ist. Dasselbe gilt für die drei Umkleidebereiche, die extra für die radelnde Belegschaft eingerichtet wurden. Es gibt 104 Spinde – und eine Warteliste! Auf dem Weg durch die Firma treffen wir immer wieder andere Mitarbeiter, die alle mit Alex „per Du“ sind und ich erfahre umgehend, warum: Alle fahren Rad und man trifft sich mittlerweile auch in der Freizeit zu gemeinsamen Fahrten.
Tatsächlich erzählt mir Alex, dass viele private Kontakte über dieses Fahrradprogramm entstanden sind. Hier bei Tesa scheint das Konzept voll und ganz aufzugehen. Gut für mich, denn so muss ich keinen trockenen Zahlen über Klebebänder lauschen, sondern kann mich über das unterhalten, was mich – so wie Alex – ohnehin am meisten begeistert. Und wäre ich gleich nicht zum Lunch-Ride verabredet, hätten wir vermutlich noch viel zu erzählen gehabt. Ich verabschiede mich und bin voll freudiger Erwartung auf den Rest meiner „Geschäftsfahrt“ durch Hamburg.