Hi Alexander. Bitte stell dich doch einmal kurz vor und erzähle uns, was du in Frankfurt so treibst…
Mein Name ist Alexander Breit, ich bin studierter Stadtplaner und auch in dem Bereich beruflich tätig. Ich bin hier in Frankfurt bei Transition Town Frankfurt und für den Radentscheid Frankfurt ehrenamtlich tätig. Transition Town ist eine Initiative, die sich allgemein für Nachhaltigkeit auf der Nachbarschaftsebene einsetzt. Der Radentscheid setzt sich spezifisch mit der Radinfrastruktur in Frankfurt auseinander.
Transition Town Frankfurt
Geh doch bitte nochmal etwas genauer auf Transition Towns ein. Was ist der Hintergrund und die Struktur des Ganzen?
Gerne, ich hole dann mal ein bisschen weiter aus. Die Transition Town Bewegung ist entstanden in einem kleinen Ort in England namens Totnes, gegründet von einem Mann namens Rob Hopkins. Wobei das Ganze gar keine individualisierte Sache ist, sondern vielmehr die Frage stellt: Wie können wir uns in der Klimakrise verhalten, um damit klarzukommen? Dabei gibt es verschiedene Ausgangspunkte: Zum einen müssen wir Emissionen reduzieren, weil sonst einfach alles kaputtgeht. Dieses Jahr merkt man es ja richtig: Überall werden Hitzerekorde gebrochen, es gibt Hitzetote in Kanada und Flutopfer in Deutschland. Der andere Ansatz ist, von diesen globalen Rohstoffabhängigkeiten wegzukommen. Die Antwort liegt natürlich auch in der nationalen Politik. Die Antwort, die Transition Towns dafür findet, ist eher auf der Ebene der Ortschaft beziehungsweise der Nachbarschaft. Wie kann ich auf dieser Ebene aktiv etwas tun, um gegen diese beiden Probleme vorzugehen? Die Antwort ist also Resilienz, das heißt ich muss mich irgendwie von den Rohstoffen unabhängiger machen und kann dabei gleichzeitig Emissionen reduzieren. Das können ganz einfache Sachen sein, wie zum Beispiel ein Reperaturcafé. Man kommt zusammen, lernt sich kennen, klönt ein bisschen und quasi nebenbei werden Dinge repariert und somit Ressourcen gespart, weil Dinge repariert und länger genutzt werden können. Das geht weiter mit komplexeren Initiativen wie Bürger-Energiegenossenschaften. Dabei werden Bürger gemeinsam zum Erzeuger erneuerbarer Energien, wie zum Beispiel Biogas oder Photovoltaik. Nicht alles, was es in diesem Kontext in Frankfurt gibt, ist dabei von uns ausgegangen. Die Idee ist es aber, das alles unter dem Dach der Transition Town zu bündeln. Es gibt zwar ein nationales und weltweites Transition-Towns-Netzwerk, jede Stadt für sich ist aber trotzdem eigenständig organisiert.
Wie entsteht so ein Transition Towns Projekt? Gibt es da eine Art Leitfaden?
Das ist relativ amorph und offen. Es geht immer auch um lokale Lösungen, es geht nicht alles überall. Und natürlich läuft es auch darauf hinaus, auf was die Leute Bock haben. Letztendlich braucht es engagierte Menschen, die Lust haben, etwas zu starten. Man könnte zum Beispiel einen Aufruf über Social Media oder die Lokalzeitung starten und auf diese Weise loslegen.
Hast du ein paar konkrete Beispiele von coolen Projekten in Frankfurt für uns?
Ich finde den Nussgarten super, in dem du ja heute auch schon warst. Ansonsten haben wir im Stadtteil Eschersheim tolle Projekte. Da gibt es den Gemeinschaftsgarten Tortuga, der aus einem Förderprogramm der Bundesregierung „Kurze Wege für den Klimaschutz“ entstanden ist. Auf einem brachliegenden Grundstück mitten in Eschersheim wurde ein Gemeinschaftsgarten mit Hochbeeten angelegt. Hier entstehen Lebensmittel, aber vor allem auch ganz viel Gemeinschaft. Die Nachbarschaft hat sich hier zusammengefunden, man organisiert sich und betreibt gemeinschaftlich diesen Ort. Der Aufhänger ist zwar das Gärtnern, aber eigentlich ist es ein tolles soziales Projekt. Toll ist auch das Projekt „Heddernheim im Wandel“. Eigentlich ist Frankfurt ja viel zu groß für eine Transition Town. „Heddernheim im Wandel“ ist daher der Versuch, die Transition Town in einem kleinen Stadtteil zu verankern. Wir hatten etwas Glück und bekamen dort tolle Räumlichkeiten, in denen wir viele Veranstaltungsformate in Heddernheim etablieren konnten. Mittlerweile sind viele Projekte, die wir dort angestoßen haben, zum Selbstläufer geworden, weil sich engagierte Leute im Stadtteil gefunden haben. Das Spannende dabei ist, dass es oftmals gar nicht mehr im Kern um diesen Umweltgedanken geht. Die Leute haben zum Beispiel einfach Lust auf so ein Reperaturcafé, treffen sich dort, klönen und genießen die Gemeinschaft. Der Umweltaspekt wird auf diese Weise zu einem „netten“ Nebeneffekt. Das finde ich besonders schön an diesem Transiton Town Gedanken. Ganz viele dieser Projekte sind ganz raus aus dieser „Umwelt-Verzicht-Alles-Schlimm“-Debatte, sondern sind eine Chance, weil wir alle etwas von einer besseren Lebensqualität haben. Das finde ich sehr charmant, weil man so euch Leute kriegt, die man mit der klassischen Umweltthematik nicht so anspricht. Und dann gibt es da noch eine total spannende Sache: die Regionalgeld-Gruppe. Das passt natürlich wie die Faust aufs Auge zu einer Stadt wie Frankfurt. Dabei wird versucht, eine regionale Währung zu etablieren, die dafür sorgt, dass das Geld in der Region bleibt und die regionale Wertschöpfungskette gestärkt wird. Und natürlich sei noch erwähnt, weil ihr schließlich ein Fahrradmagazin seid, dass auch der Radentscheid und der Parkingday dazugehören.
Werden diese Projekte auch von der „großen Politik“ wahrgenommen?
Zumindest ist es so, dass Projekte wie zum Beispiel Heddernheim im Wandel zumindest in den Ortsteilen krass wahrgenommen werden, auch von der Ortsteilpolitik. Wir versuchen, Materialien anzubieten, die zeigen, dass so etwas auch anderswo funktionieren kann. Vieles hört sich immer so klein an. Ein Reperaturcafé halt. Aber eigentlich ist das ja eine krasse Ablehnung der bestehenden Ordnung, die besagt, dass Sachen eben kaputtgehen und wir unentwegt konsumieren müssen, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Eigentlich ist so ein Reperaturcafé ja total revolutionär, es sieht halt nur putzig aus. Das spricht mich daran besonders an und es führt zu Diskussionen. Beim Parkingday zum Beispiel wird die Frage angestoßen: Wofür geben wir öffentlichen Raum her, was machen wir damit?
Der Radentscheid Frankfurt
Erzähl doch mal vom Radentscheid. Dessen Erfolge sind ja mittlerweile durchaus sichtbar, oder?
Generell finde ich es spannend, dass sich zumindest in meiner Wahrnehmung die Diskussion total verschoben hat. Als wir angetreten sind, wurde uns von vielen Seiten kommuniziert, dass es ja total illusorisch sei, was wir vorhaben und dass das niemals klappen wird. Mittlerweile sind bereits viele Radwege gebaut worden und es treten Leute aus der Lokalpolitik an uns heran, die sich „beschweren“, warum wir denn nur in der Innenstadt geplant hätten und nicht in den Außenbereichen. Das hat sich also total gedreht. Und natürlich ist noch nicht alles perfekt. Aber die Qualität der Diskussion hat sich ziemlich verschoben. An Straßen wie der Friedberger Straße, die wir eben gefahren sind, klappt es mittlerweile zum Beispiel ganz gut. Wir fangen jetzt an, dass wir in die Diskussion eintreten über typische Neben- und Geschäftsstraßen. In vielen Ortsteilen gibt es noch so typische Geschäftsstraßen, die total vom Verkehr geprägt sind. Die sollen möglichst auch umgestaltet werden, fahrradfreundlich beziehungsweise im weiteren Sinne menschenfreundlich. Da müssen Bäume und Bänke hin, ein Radweg natürlich und wir brauchen mehr Aufenthaltsqualität. Selbst da herrscht inzwischen Einigkeit, dass da was passieren muss, das war früher auch nicht so in meiner Wahrnehmung. Jetzt wird da vielmehr über Details gestritten, aber die grundsätzliche Einigkeit darüber, dass dort was passieren muss, ist inzwischen hergestellt, selbst über Parteigrenzen hinweg. Das finde ich schon ziemlich bezeichnend. Vieles davon sind natürlich noch Lippenbekenntnisse, aber selbst das ist ein Fortschritt. Ich sehe das positiv. Aber wir werden immer weitermachen, denn wenn wir wirklich etwas erreichen wollen, muss noch viel passieren. Manchmal muss man sich aber auch mal selber auf die Schulter klopfen und feststellen: Wir haben schon beeindruckend viel erreicht.
Du bist ja als Stadtplaner auch beruflich ziemlich im Thema. Hilft dir das im Gespräch mit Politikern?
Dazu muss ich sagen, dass nicht nur ich fachkundig bin. Wir haben in Frankfurt das Glück, dass wir auch viele engagierte ArchitektInnen und VerkehrsplanerInnen haben, die sich beim Radentscheid einbringen. Das führt dazu, dass wir bei Diskussionen mit der Stadt immer mit sehr viel Sachverstand auftreten können und das wird auch wahrgenommen. Im letzten Jahr haben wir zum Beispiel eine sehr ausführliche Broschüre vorgelegt zum Thema fahrradfreundliche Nebenstraßen, in der konkrete Vorschläge definiert wurden mit Visualisierungen und Plangrafik, die sich jetzt in ähnlicher Form in der von der Stadt veröffentlichten Planung wiederfinden. Das zeigt, dass hier eine gewisse Einigkeit herrscht.
Die Politik ist die eine Sache. Auf der anderen Seite gibt es in einer Stadt wie Frankfurt viele unterschiedliche Menschen. Wie nehmen die eure Aktivitäten mit dem Radentscheid war, habt ihr da auch Akzeptanz? Ohne die geht es ja nicht, oder?
So Projekte wie das Reparaturcafé oder der Garten haben natürlich den Vorteil, dass sie sehr unmittelbar anknüpfen. Da können BürgerInnen einfach mitmachen. Einen Radweg können wir als Bürgerinitiative nicht selber machen, dafür braucht man die Stadt auf seiner Seite. Jetzt, wo die ersten Radwege umgesetzt sind, verschiebt sich die Wahrnehmung der Menschen und wir haben das Glück, dass wir das an der Friedberger Straße im Rahmen eines studentischen Projekts mit Zahlen untermauern können. Und diese Wahrnehmung ist durch die Bank sehr positiv. Jetzt, wo es die ersten Projekte gibt, sehen die Leute, dass es funktioniert und dass die Welt nicht untergeht, wenn die Autos etwas weniger Platz haben. Aber man muss es den Leuten oft erst vor die Haustüre bauen, bevor sie merken, wie gut es funktioniert. Ich habe aber auch nicht für jedes Problem ein Patentrezept. Bei dem aktuellen Projekt der Neben-Geschäftsstraßen zum Beispiel ist eine wichtige Gruppe der Einzelhandel und die Gastronomie. Man macht sich Sorgen, dass Kundschaft ausbleibt, wenn die Leute nicht mehr vor der Tür parken können. Wir wissen aus anderen Städten – und es ist wissenschaftlich belegt – dass bei solchen Umbaumaßnahmen eigentlich immer der Umsatz steigt. Aber das sehen die Leute halt noch nicht. Erst, wenn es tatsächlich umgesetzt wird, sehen die Leute, dass es eine gute Sache ist. Ich hoffe dann auf eine Art Schneeballprinzip: Je mehr Leute so etwas vor der Haustür haben, desto einfacher wird es hoffentlich in Zukunft. Wir versuchen jedenfalls durch eine sehr positive Kommunikation Akzeptanz für solche Umbauen zu bekommen.
Dabei wünschen wir dir beziehungsweise euch auf jeden Fall weiterhin viel Erfolg! Danke für deine Zeit.