Uwe Fielicke, Fahrradhändler in Witten, ganz oldschool
Heutzutage kann man sich durchaus berechtigt die Frage stellen, ob eigentlich alle Radfahrer noch wissen, was ein Fahrradladen ist. Wer hat sich nicht schon mal online informiert und am Ende einfach auf „kaufen“ geklickt, um dann einen Tag später die schönen neuen Teile bequem nachhause geliefert zu bekommen und vielleicht sogar noch Geld gespart zu haben? Doch sein wir mal ehrlich: das ist eine sehr emotionslose Angelegenheit.
Ältere Semester erinnern sich bestimmt gern an die Zeiten zurück, in denen kein Weg zu weit war, um sich am Schaufenster des coolen Fahrradladens die Nase platt zu drücken und sich von einem kauzigen Mechaniker die neuesten Innovationen vorstellen zu lassen. Was kein Onlineshop vermag, bekommt man im Fahrradladen umme Ecke: persönlichen Kontakt, liebenswerte Typen, Leidenschaft und Qualität, hinter der ein Name steht. So, wie bei Uwe Fielicke, dem Fahrradhändler in Witten.
Witten liegt mitten im Ruhrpott. Wer aus Witten „wech kommt“, geht morgens „mit so ne Klüsen zur Maloche“, macht mittags „Päusken im Kabäusken aufn Käffken“ und abends, ja abends ist Schluss mit „Pille Palle“. Abends machen die einen sich ein „Püllecken“ auf und die anderen, über die wir hier reden, setzen sich aufs „Farratt“, denn im Ruhrpott kann man hervorragend damit fahren.
Oder zum Radhändler des Vertrauens rollen, denn der hat hier noch ein offenes Ohr für seine Kunden und manchmal auch eine offene Flasche leckeres Fiege Pils. Zumindest bei Uwe Fielicke ist das so.
Ich versuche, alles wieder hinzukriegen und nicht einfach auszutauschen. Wenn eine Federgabel
kaputt ist, kann ich sie wegschmeissen und für 500 Euro eine Neue verkaufen, wie es die meisten
anderen machen. Aber man kann sie auch
reparieren. Das ist ganz einfach: man zerlegt das Teil, guckt sich das an, überlegt sich was, baut es wieder zusammen und dann funktioniert es wieder.
Fahrrad Fielicke in Witten: Alles, aber nicht normal
Dass Uwe´s Radladen kein normaler Laden ist, wird jedem sofort klar, der die Fassade bzw. das Schaufenster betrachtet. Wobei nicht ganz klar ist, ob das hier cooler Ruhrpott Kult ist oder einen gewissen Instandhaltungsstau zum Ausdruck bringt. Der eigentliche Laden umfasst wenige Quadratmeter und ist vollgepackt mit Fahrrädern und Krimskrams für selbige. Öffnet man die Tür, betätigt man eine alte Türglocke. Das Zeichen für Uwe: Kundschaft! Ich betrete den Laden, es ist kurz vor Feierabend. Uwe ist noch fleißig.
Ein Kunde wartet darauf, sein Laufrad gerichtet zu bekommen. Uwe winkt mich durch einen schmalen Gang in einen Innenhof direkt ins Herz seines Fahrrad-Universums. Sofort fühle ich mich an das „Haufen Prinzip“ gewisser Kult Personen aus dem KFZ Bereich erinnert. Verdammt, das hier ist so cool! Hier stehen keine teuren Sammlerstücke. Hier stehen viele Dinge herum, die keiner mehr haben wollte. Uwe sammelt sie. Uwe liebt Fahrräder und Uwe liebt es, Altes und von anderen längst als Müll Deklariertes wieder flott zu machen.
„Hömma Uwe, ich glaub da kommt Maloche!“ – Kunde Manfred beginnt überraschender Weise das Gespräch. Seine Stimme schallt aus dem Schuppen hinter dem Hof, dessen Holztor weit geöffnet ist. Manfred stellt sich als „Dauerkunde“ vor und eine alte Dame, die auf ihrem Rollator inmitten der Werkstatt hockt, pflichtet ihm bei. Sie ist Uwes Mutter.
Nachdem ich den beiden erklärt habe, dass ich hier bin, um ein Interview mit Uwe zu führen und ein paar Fotos zu machen, beginnt Manfred direkt mit einem kleinen Plädoyer für „seinen“ Radladen: „Der Uwe, der ist so gut, dass ich alle 3 Wochen hier bin.“, beginnt er lachend. „Außerdem gibt es hier nach Feierabend immer illegalen Ausschank.“, fügt er hinzu, „gutes Fiege Pils aus Bochum“, versteht sich von selbst. „Wir kennen uns schon aus dem Kindergarten, jetzt sind wir fast 60“.
Mutter Fielicke ist immer noch da. Sie wohnt „oben drüber“, seit nunmehr 40 Jahren. Immer, wenn das Wetter gut ist, kommt sie runter. Denn sich hier zu unterhalten und ein bisschen frische Luft zu schnappen ist doch viel besser, als alleine vorm Fernseher zu hocken. „`77 sind wir hier eingezogen“, beginnt Uwe mir seine Geschichte zu erzählen. „Mein Geburtshaus ist schräg gegenüber“ – Uwe zeigt quer über den Hof, dessen Mauer die Sicht auf die andere Seite der Ardeystraße versperrt, wo er aufgewachsen ist.
„Meine Eltern hatten damals nichts mit Fahrrädern am Hut. Vatta war aber schon immer ein Schrauber. Von Beruf war er Schweißer. Mein Bruder war damals öfter drüben bei dem Fahr-radladen Elstner, der da früher war. Da hat er schon mit 11 gelernt, Laufräder selber einzuspeichen und an Fahrrädern und Moppeds zu schrauben. So kam ich auch irgendwie dazu. 1992 ist der Elstner dann gestorben und da hab ich gesagt: „hier muss wieder ein Fahrradladen hin.“
Uwe Fielicke: Quereinsteiger aus Leidenschaft
Uwe ist Quereinsteiger. Eigentlich ist er gelernter Fernmeldemonteur. „Braucht heute keiner mehr!“, sagt Uwe lachend. Was genau der Fernmeldemonteur gemacht hat, weiss ich ehrlich gesagt noch nicht einmal. Aber Uwe hilft mir etwas auf die Sprünge: „bei der Ausbildung habe ich vieles gelernt, was mir geholfen hat. Ich hatte zum Beispiel ein halbes Jahr ‚Grund-lagen der Werkstoffbearbeitung‘. Da stand dann ‚Feilen‘ auf dem Lehrplan, dann nochmal ‚Feilen‘ und nochmal ‚Feilen‘.“ Uwe ist ein toller Geschichtenerzähler und wenn jemals jemand eine Doku über Fahrradläden im Ruhrpott drehen will: Uwe ist der perfekte Protagonist für ein solches Format.
„Dann habe ich aber auch Sachen wie Bohren, Gewindeschneiden, Sägen, Hartlöten und so etwas gelernt. Alles Dinge, die ich gebrauchen konnte. Im Endeffekt hatte ich aber einfach Bock, diesen Laden zu eröffnen. Ich war damals schon 35 Jahre alt. Sämtliches Fachwissen habe ich mir dann nach und nach selber beigebracht. Ich war aber immer schon ein Schrauber. Ich habe früher an Käfern rumgeschraubt, Motoren zerlegt und aus drei Motoren wieder einen gemacht. Ich dachte mir damals: wenn ich sowas kann, krieg ich auch ein Fahrrad wieder hin.“
Ich habe früher an Käfern rumgeschraubt, Motoren zerlegt und aus drei Motoren wieder einen gemacht. Ich dachte mir damals: wenn ich sowas kann, krieg ich auch ein Fahrrad wieder hin.
Gesagt, getan. Wie der Laden damals aussah, kann ich mir gut vorstellen. Vermutlich nämlich in etwa so, wie heute. Nur nicht ganz so voll. Im Hof und in der Werkstatt von Fahrrad Fielicke scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.
Okay, die Fahrräder haben sich schon etwas verändert: „was die Technik betrifft, bin ich einfach mitgewachsen. Als ich damals anfing, hat noch keiner an eine hydraulische Scheibenbremse gedacht und ‚Fully‘ war für die meisten ein Fremdwort. Die ersten Fullys waren, naja, nicht sooo gut. Da ist heute alles schon um einiges besser geworden. Nach jeder Eurobike (die große deutsche Fahrradmesse am Bodensee, Anm. d. Red.) sage ich immer: das Rad wird nicht neu erfunden aber viele kleine Details werden stetig besser. Wenn du mich nach echten Meilensteinen fragst, dann würde ich sagen, dass Scheibenbremsen und die Federung am Rad dazu gehören“.
Was ist mit E-Bikes? „Ebikes machen wir nur so nebenher. Für Invaliden ist das ne gute Sache. Einen 12-jährigen auf ein 24-Zoll-Ebike zu setzen ist für mich eine Frechheit. Der muss sich erst noch quälen.“ Eine klare Meinung, die Uwe mit einem Schmunzeln zum Besten gibt. Guter Mann.
Fahrrad Fielicke: „Da werden sie geholfen!“
Ein junger Typ betritt das Szenario. Er hält eine Felge und eine schicke „Hope“ Nabe in der Hand. „Kann ich das noch eben zusammen bauen?“ Offenbar kein Kunde. Uwe klärt mich auf: „Das ist der Stift“. „Stift“ nennt man im Pott den Auszubildenden. Und natürlich darf er noch schrauben. „Der Stift heisst Lewis und der macht beides gerne. Er schraubt gern und fährt auch gern Fahrrad. Er macht hier eine Ausbildung als Zweirad Mechatroniker, so nennt man das heute.“ Und während seine Azubi-Kollegen in der Berufsschule ihr erstes Laufrad einspeichen, wirkt er in seinem Tun schon durchaus routiniert. So ist das eben, wenn man eine Sache mit Herzblut macht.
„Sollte, würde, könnte – MACHEN!“ Das Poster an Uwe´s Werkstatt Schrank bringt es auf den Punkt. Während sich die Fahrräder immer weiter entwickeln, ist und bleibt es bei Uwe klein, gemütlich und persönlich. Es ist das Gesamtpaket, dass Uwes Laden einfach einzigartig macht. „Fahrrad Fielicke – da werden sie geholfen“ wirft Uwe lachend in den Raum. Für einige mag sein Konzept vielleicht altbacken wirken.
Für mich klingt es fast schon innovativ: „Ich versuche, alles wieder hinzukriegen und nicht einfach alles auszutauschen. Wenn z.B. eine Federgabel kaputt ist, kann ich sie wegschmeissen und für 500 Euro eine neue verkaufen, wie es die meisten anderen machen. Aber man kann sie auch reparieren. Das ist ganz einfach: man zerlegt das Teil, guckt sich das an, überlegt sich was, baut es wieder zusammen und dann funktioniert es wieder.“
Ein Prinzip, dass bei Uwes Kunden gut ankommt. „Ich kann zwar nicht sagen, dass es einen ‚typischen‘ Kunden gibt aber ich habe viele langjährige Kunden, die es schätzen, dass ihnen hier schnell und unkompliziert geholfen wird.“ Und dann gibt´s auch mal ein Bierchen? „Ja, aber nur nach Feierabend“, Uwe lacht.
Dennoch: das ist das Stichwort. Feierabend. Uwe und Manfred prosten sich mit lecker Pilsken zu, Mutter Fielicke, der Stift und ich verzichten lieber. Der gemütliche Teil des Abends hat hier gerade erst angefangen. So läuft das bei Fielicke in Witten, beim Radladen „umme Ecke“.
Hallo Martin,
ein sehr schöner Artikel, der aufzeigt, wie nostalgisch und ehrlich man einer in der heutigen Zeit einen Fahrrad-Laden betreiben kann.
Ich selber betreibe seit vielen Jahren ein Fahrradgeschäft und kann mit gutem Gewissen sagen, dass eine Fahrradwerkstatt vorrangig reparieren sollte, nicht nur Teile austauschen!
Es würde mich freuen, wenn viele Kollegen diese re-cycling Mentalität übernehmen würden, um Ressourcen auf allen Ebenen zu sparen.
LG Marco
Der Typ ist mindestens so kultig wie Manni von den Ludolphs !!