Liebe Fahrradindustrie,
Seit mehr als zwei Jahrzehnten bin ich ein Teil von dir. Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht und seither dreht sich alles um zwei Räder. Ich verdiene einen Teil meines Lebensunterhalts damit, über Fahrräder, Zubehör und über Abenteuer zu schreiben. Nach außen wirkt das oft glamourös – „Arbeiten, wie andere Urlaub machen“. Eigentlich könnte ich dankbar sein. Oder?
Ich bin dankbar, denn ich habe viel erlebt und tolle Menschen kennengelernt. Aber ich weiß, dass dieser Weg kein Spaziergang war, denn es gibt die Kehrseite der Medaille. Was nach außen so großartig wirkt, bedarf viel Fleiß und eine gewisse Bescheidenheit. Außerdem musste ich ein paar „Regeln“ der Geschäftswelt lernen. Ich will hier nicht zu sehr ins Detail gehen. Es geht um Themen wie Ehrlichkeit, Loyalität, Wertschätzung von Arbeit, die auf den ersten Blick vielleicht nicht so greifbar ist. Es geht darum, wie Dinge entstehen und darum, wie Dinge gewürdigt werden. Und es geht um den Wandel der Zeit. Konkret geht es um gedruckte Magazine, die einst gefeiert und das Maß der Dinge waren – jetzt allenfalls noch ein nettes Accessoire für den Hipster-Couchtisch sind.
Als Stephan Peters und ich das lifeCYCLE Magazine gegründet haben, hatten wir die Schnauze gestrichen voll. Voll von tagelangen Flugreisen, nur um abgefahrene Stories über tolle Outdoor-Abenteuer erzählen zu können oder um Produkte vor einer spektakulären Kulisse zu fotografieren. Voll von tagelangen Diskussionen um dünneres, billigeres Papier, geschönte Zahlen für die Mediadaten oder darum, welchen Firmen man zusätzlich zu seinem eigentlichen Job als Redakteur noch eine Anzeige verkaufen kann, weil der Anzeigenverkäufer schon längst das Weite gesucht hatte. Unser Entschluss stand fest: Wir bringen ein Radmagazin heraus, das Dinge anders macht. Vor allen Dingen sollte es ein Magazin sein, das sich selbst als Zweck hat. Ein Magazin, bei dem es um Ehrlichkeit, schöne Geschichten und um einen respektvollen Umgang mit unserem Planeten geht. Es geht um ein wirklich nachhaltiges Fahrradmagazin – vom Anfang bis zum Ende. Das muss in einer Zeit voll von Problemen doch funktionieren. Das Thema Nachhaltigkeit ist schließlich in aller Munde?!
Wenn es um die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft geht, stößt man auf einen Begriff, den ich sehr spannend finde: die „Purpose Economy“ – also eine Wirtschaft, die sich einem Zweck unterordnet. Und damit ist nicht die Gewinnmaximierung gemeint. Stattdessen ordnet so ein zweckorientiertes Unternehmen all sein Handeln einem festgelegten Ziel unter. Zum Beispiel: ökologisch und sozial nachhaltig hergestellte Komponenten fürs Fahrrad. Es geht hier also um die Art und Weise, wie ein Produkt entsteht. Und nicht darum, dass der Big Boss sich die vierte Yacht kaufen kann. Natürlich muss so ein Unternehmen auch Geld verdienen. Aber das Geld ist hier eben nur Mittel zum Zweck und nicht der Zweck an sich. So sollte lifeCYCLE sein!
Aber wie sieht das in der Fahrradindustrie aus? Machen wir uns nichts vor, der größte Teil der Fahrradindustrie ist meilenweit davon entfernt, nachhaltig zu sein – wer es wirklich ernst meint, verschwindet oft schnell wieder von der Bildfläche. Immer mehr Firmen springen dennoch auf diesen Zug auf und reden, reden, reden. Sicher, ein bisschen was passiert. Doch ich werde das Gefühl nicht los, dass vor allem die Marketingabteilungen damit beschäftigt sind, nachhaltig die Nachhaltigkeit zu feiern. Klar, so eine Transformation dauert ein bisschen. Doch mittlerweile frage ich mich: Ändert sich unterm Strich wirklich viel? Ein bisschen Recycling hier, etwas mehr Fairness da – alles schön und gut. Doch eine Sache lässt mich zweifeln: Der Bezug zu Geld beziehungsweise der allseits zu beobachtende Zweck eines jeden Unternehmens: Gewinne zu steigern.
Fünf Jahre später blicken wir zurück. Ich erinnere mich an großartige Radreisen. Bis nach Schottland oder Afrika bin ich gekommen. Ganz ohne Fliegen, ganz ohne Auto. Es hat riesig Spaß gemacht, es war anstrengend und die Erinnerungen sind unbezahlbar. Es funktioniert nicht nur, „slow“ und nachhaltig zu reisen, es macht auch unglaublich viel Spaß. Thematisch war lifeCYCLE ein großer Erfolg. Sehr viel positives Feedback gab uns immer wieder recht und ließ uns weitermachen. Geld stand für uns nie im Vordergrund. Und doch ist es nun der Punkt, der dazu führt, dass es so nicht weitergeht. Auf Dauer ist es nämlich unglaublich anstrengend, ein Projekt mit anderen Jobs querzufinanzieren – da hilft es auch nichts, dass es ein echtes Herzensprojekt ist.
In letzter Zeit steigt mein Frust über die Fahrradindustrie ins Unermessliche. Es kann ein T-Shirt noch so fair und ein Gummi noch so grün sein. Die Art und Weise, wie viele Firmen uns gegenüber argumentieren, warum sie kein Geld für uns übrig haben, zeigt mir ganz deutlich: Zumindest die Bereiche Marketing und Kommunikation sind bei den meisten Firmen alles andere als nachhaltig. Verschiedene Erlebnisse der letzten Zeit lassen heute das Fass überlaufen. Die meisten Firmen reagieren heute nicht einmal mehr, wenn man mit der Idee eines nachhaltig hergestellten Fahrrad Magazins vorstellig wird. Ein paar antworten und erklären mir, dass unsere Reichweite nicht groß genug ist. Das musste ich mir von Unternehmen anhören, die alles dafür tun, als DIE Vorreiter einer nachhaltigen Outdoorindustrie wahrgenommen zu werden. Es geht auch hier nur um Zahlen, Kontakte und um Klicks. Und da sind wir raus, das können wir nicht bieten. Da sind irgendwelche Influencer-Sternchen einfach besser. Erst heute noch wurde mir eine kleine geplante Zusammenarbeit abgesagt. Der Grund: Ich wollte zu viel Geld dafür haben. Für uns hätte es gerade gereicht, damit nach Abzug der Kosten wenigstens ein bisschen übrig bleibt.
Heute lasse ich meinen Frust raus. Liebe Fahrradindustrie: Wir sind raus! So geht es nicht weiter. Wir leben in einer Zeit voller Probleme, die gelöst werden müssen. Wir haben unendlich viel Energie in unser Projekt gesteckt, mit dem wir einen Teil zur Lösung der Probleme beitragen wollten. Bevor wir völlig ausgebrannt sind, ziehen wir die Reißleine. Wir widmen uns künftig lieber voll und ganz den Jobs, von denen wir seit der Gründung von lifeCYCLE ohnehin gelebt haben. Wir werden weiter versuchen, unseren Teil dazu beizutragen, Probleme zu lösen. Aber nicht als kostenloser Geschichtenerzähler für eine Industrie, die es nicht wertschätzt und die lieber selber davon erzählt, wie toll sie ist. Es gibt genug Möglichkeiten, sich privat und ehrenamtlich zu engagieren – und das werden wir tun.
Wie geht es nun mit lifeCYCLE weiter?
Ganz genau wissen wir das auch noch nicht. Es fällt uns schwer, einfach aufzuhören. Insofern sind wir offen für Ideen und Vorschläge. Vielleicht öffnet sich eine Tür – vielleicht verabschiedet sich das lifeCYCLE Magazin aber auch aus der Welt der Medien. Momentan spüre ich etwas Frust. Vor allem aber bleiben die Erinnerungen an tolle Abenteuer und an das oft großartige Feedback unserer LeserInnen, das uns immer wieder bewiesen hat, dass wir mit unserer Art von Magazin wirklich etwas bewegen konnten. Wir bedanken uns bei den wenigen Firmen, die an uns geglaubt haben und vor allem bei unseren treuen LeserInnen, die den Grundstein dafür gelegt haben, dass wir fünf Jahre lang lifeCYCLE herausbringen durften.
Martin Donat